Festlichkeit:"Deutschland als der Zinédine Zidane Europas"

Lesezeit: 3 min

Bei der Feierstunde zum 60. Geburtstag der Akademie für Politische Bildung Tutzing packt Timothy Garton Ash seine Zukunftsvision in eine Fußballmetapher

Von Manuela Warkocz, München

Selbstbewusst soll Deutschland aufspielen, klar und besonnen seine Rolle als Weltmacht definieren und Europa zusammen halten - diesen Wunsch formulierte Timothy Garton Ash zum 60. Geburtstag der Akademie für Politische Bildung Tutzing. Beim Festakt am Mittwoch im Landtag kokettierte der britische Historiker mit dem "besonderen Charme, eine Tutzinger Rede zu halten". Ging doch unter diesem Begriff Egon Bahrs Ankündigung zu einem Strategiewechsel in der Ostpolitik in die Annalen ein.

Gehalten hat Bahr sie freilich 1963 bei der Konkurrenz, der Evangelischen Akademie Tutzing, wie Deutschlandkenner Ash natürlich weiß. "Die Zweite Chance" überschrieb der 61-Jährige, der vergangenen Donnerstag den Karlspreis erhalten hat, seinen Festvortrag. Und skizzierte vor 400 geladenen Gästen in einer brillanten Analyse, dass die heutigen politischen Krisen aus der Zeit des "größten Triumphes" herrühren, der Wiedervereinigung 1989 und der folgenden Globalisierung. Heute müsse Deutschland zu einer "Balance zwischen Idealismus und Realismus finden". Um Europa zu stärken riet er, die Vielfalt der Sprachen und Kulturen anzuerkennen und nicht für jede Schwierigkeit Brüssel verantwortlich zu machen.

Große Feierstunde im Landtag: SPD-Politiker Hans-Jochen Vogel und Natascha Kohnen (rechts) sprachen miteinander. (Foto: Robert Haas)

Seine Zukunftsvision von einem starken und zugleich flexiblen Europa packte Ash in eine Fußball-Metapher: So wie wenn man alle Talente von FC Bayern, Manchester United und FC Barcelona in eine Mannschaft zusammenfasse und damit über Jahre unschlagbar würde, sollte ein FC Europa kreiert werden. Jede Nation würde ihre eigene Rolle spielen - etwa der polnische Torjäger, der spanische Torhüter, der britische David Beckham, der vielleicht auf der Ersatzbank sitze. Deutschland sieht er als "brillanten, unverzichtbaren Mittelstürmer", der Chancen herausspiele, aber anderen die Tore überlasse. "Deutschland als der Zinédine Zidane Europas - wäre das nicht eine schöne Rolle für das nächste Vierteljahrhundert?", schlug er als Aufstellung vor. Angesichts der jungen Generation, die nach 1989 geboren ist und die Teilung Europas nicht mehr kennt, hält Ash politische Bildung zur freiheitlichen Demokratie, wie sie die Akademie betreibt, mehr denn je für nötig.

Vor 60 Jahren machte die CSU in dieser Sache einen Fehler. Damals in der Opposition, stimmte sie im Landtag gegen das Akademiegesetz. Die Regierung mit Wilhelm Hoegner (SPD) setzte sich indes durch, die Akademie kam und etablierte sich in Tutzing direkt am Starnberger See. Landtagspräsidentin Barbara Stamm sprach diesen Fehler ihrer eigenen Partei beim Festakt offen an, lobte die Institution dann umso inniger. Die Akademie sei ein "Kraftzentrum politischer Bildung", immer auf der Höhe der Zeit und trage viel zur demokratischen Substanz bei.

Historiker Timothy Garton Ash. (Foto: Robert Haas)

Horst Seehofer unterstrich die Einmaligkeit der Einrichtung in Deutschland. Sie steht zwar - auch finanziell - in der Obhut des Freistaats, agiert aber unabhängig und überparteilich. Was auch der Ministerpräsident zu spüren bekommt: Eine angenehme Begegnung heute schütze nicht davor, "am nächsten Tag unbarmherzig beurteilt zu werden". Eine Ankündigung Seehofers dürfte Akademiedirektorin Ursula Münch freuen: Im neuen G 9-Lehrplan soll dezidiert politische Bildung aufgenommen werden. Münch, die seit 2011 in Tutzing amtiert und gerade für weitere sechs Jahre vom Kuratorium wiedergewählt wurde, hat in den knapp 200 Veranstaltungen jedes Jahr neue Formate für junge Leute etabliert, etwa Politiksimulationen und die "Tutzinger Schülerforen". Weil das Akademiegesetz ausdrücklich die Opposition stärkt, sprach auch SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher. Er erinnerte an die spezielle "bayerisch-demokratische Systematik": Die SPD habe eine Idee, die CSU finde sie doof, setze sie später als eigene Idee um.

Die Stimmen zum Jubiläum fielen beim Empfang in den Landtagssälen und auf der sommerlichen Dachterrasse durchweg positiv aus. Der 91-jährige unermüdliche SPD-Grande Hans-Jochen Vogel - er hatte als junger Referendar in der Staatskanzlei das Akademiegesetz ausgearbeitet - fand "die Sicht eines britischen Europäers für uns von besonderer Bedeutung". Seehofer nahm den an ihn persönlich gerichteten Appell von Ash mit, seinen Einfluss auf Victor Orban zu nutzen und anti-liberale Strömungen in Ungarn anzusprechen. "Aber alles Schwarz-Weiß-Denken ist da fehl am Platz", gab sich Seehofer vor seiner Reise zu Putin an diesem Freitag staatsmännisch.

Ministerpräsident Horst Seehofer unterstrich die Einmaligkeit der Akademie für Politische Bildung in Deutschland. (Foto: Robert Haas)

Als "analytisch, ehrlich, ohne Furcht vor Verletzbarkeiten" stufte der langjährige Akademiechef Heinrich Oberreuter diese Tutzinger Rede ein. Hans Maier, 25 Jahre Vorsitzender des Akademie-Kuratoriums, bekannte sich als Fan von Timothy Garton Ash: "Ich verfolge seine Veröffentlichungen seit seinem ersten großen Erfolg", seit dem Buch "Ein Jahrhundert wird abgewählt".

© SZ vom 02.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: