An diesem Tag ist alles weiß: Die Synagogen werden mit Vorhängen und Decken geschmückt, die Gläubigen setzen weiße Kippot auf, und außerdem würden viele Männer ein Totenhemd überziehen, ein "Sargenes", sagt der Rabbiner Steven Langnas. Der Kittel solle daran erinnern, dass das Leben kurz ist und man rechtzeitig seine Sünden bereuen soll. Denn Jom Kippur, der "Tag der Sühne", sei auch der Tag der Versöhnung und der Entscheidung.
Zehn Tage lang, beginnend mit dem Neujahrsfest Rosch Haschana, dauert jedes Jahr die jüdische Bußzeit; mit Jom Kippur ist sie abgeschlossen. Gott entscheidet nun über das weitere Schicksal der Menschen. Der Tag ist einer der höchsten Feiertage im Kalender. Er ist ein Fasttag, den gläubige Juden betend in der Synagoge verbringen, an dem keiner isst oder trinkt und an dem auch "alle anderen irdischen Bedürfnisse zurückgestellt werden", erklärt Langnas. "Man ist mehr wie ein Engel als wie ein Mensch." Die Synagogen seien rappelvoll: Auch weniger fromme Juden würden zumindest an Jom Kippur dorthin gehen. "Wer an diesem Tag nicht kommt, der kommt gar nicht mehr." Viele Frömmere blieben sogar den ganzen Tag in der Synagoge.
Tatsächlich werden an Jom Kippur statt der regulären drei Gottesdienste fünf gefeiert, sagt der Rabbiner. In manchen Synagogen gebe es einen Gottesdienst nach dem anderen, "andere machen eine Pause". Kinder dürfen kommen und gehen, wie es die Eltern für richtig halten; wie auch am Neujahrsfest müssen sie nicht in die Schule. Gefastet wird an Jom Kippur nicht von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang wie im Islam, sondern eine Nacht und ein Tag, also von Sonnenuntergang bis Sonnenuntergang, 25 Stunden lang. Am Vorabend gebe es das "Abbeißen", eine letzte Mahlzeit. Ist der Feiertag vorüber, folgt das "Anbeißen". Die Zeit ist gekommen, wenn die Sonne untergegangen ist und drei Sterne zu sehen sind, wenn also die Nacht begonnen hat. "Alle Deutschen sagen immer, wie schlimm das doch sei, 25 Stunden nichts zu trinken", sagt Steven Langnas. "Aber das kann man schon durchhalten."