Festival:Eine Stadt in Bewegung

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Urbaner Spielplatz: Die Tänzer von Motionhouse und die Artisten des Nofit State Circus eröffnen Tollwood 2017. (Foto: Dan Tucker)

Das Tollwood setzt in diesem Sommer ganz auf alternative Fortbewegungsmittel - vor allem in der Kunst und Artistik.

Von Michael Zirnstein

Ein Auto auf dem Tollwood-Festival möchte man auch nicht sein. Zusammen mit anderen Karossen wird man da zerdatscht, übereinandergestapelt und auf einem dicken Baumstumpf geparkt - über allen Buden gut sichtbar für die Zuschauer als Totem aufgetürmt, als Mahnmal für den Irrglauben des modernen Menschen an die motorisierte Mobilität.

So sieht das zumindest das kanadische Künstlerpaar Marcus Bowcott und Helene Aspinall. Die beiden prangern mit ihrem Großwerk am Eingang zum Festgelände an, wie sehr das Auto doch romantisiert wird. Bei der ganzen Kunst am Platz geht es heuer um den fehlgeleiteten Verkehr, den es freilich zu vermeiden und wieder in richtige Bahnen zu lenken gilt, wie auch das Motto anmahnt: "Bitte umsteigen!"

Allenthalben werden da Alternativen zu den Dreckschleudern angeboten: Der Performer Ulik fetzt auf seiner Drachenschnecke über den Schotter, die Gruppe Foolpool lässt eine Herde Maschinenwesen am Fuße des Olympiabergs stampfen und mampfen, Ludwig Frank und Mukai Katsumi schleppen Gäste in einem seltsamen "Alien Shuttle" durch die Budenstadt, man stolziert in Vogelgewändern auf Stelzen und findet wie seit etlichen Jahren Gefallen am Leben als unmotorisierter Höhlenmensch, zumindest im Komödien-Klassiker "Caveman".

Auch in die Stadt will Tollwood von einer "Baustelle der Visionen" aus mit alternativen Fortbewegungskonzepten ziehen. So soll man auf Kreuzungen um Fahrrad-Skulpturen tanzen, um Autofahrer zum Umsteigen respektive Umdenken zu bewegen.

Die Stadt darf nicht den Autos allein gehören. Man kann den öffentlichen Raum zum Beispiel auch fürs Freilufttheater nutzen, wie die Artisten des Waliser Nofit State Circus und die Tänzer der Compagnie Motionhouse aus Mittelengland in der Eröffnungs-Show "Block": Sie umgarnen und bespringen elegant 20 betongraue Riesenbausteine, die mal an das Holocaust-Denkmal in Berlin erinnern, mal an Dolmen in Irland, Mal an einen Plattenbau, der schließlich wie ein Riesen-Jenga-Turm inklusive der Bewohner darin in sich zusammenstürzt (21. bis 24. Juni).

Der querschnittsgelähmte Artist Remi Lecocq vom Cirque Inextremist steigt auch nicht vom Rollstuhl aufs Auto um, um mobiler zu sein, sondern in einen Mini-Bagger. Der eignet sich wesentlich besser dafür, die Kollegen in Bewegung zu versetzen und durch die Luft zu schaukeln (11.-15. Juli).

Und wenn dann schon einmal eine Karosse da ist, wie der supersympathische alte französische Simca beim Cirque Aital, dann wird sie von dem schrecklich netten Pärchen in den Flitterwochen missbraucht: Als Sprungbrett, Jukebox, Lichtmaschine, Liebesnest. Am Ende reißen sie ihm die Auspuff-Anlage heraus, um sie wie einen Aussichtsturm zu beklettern (29. Juni bis 10. Juli).

Geschätzt wird das Auto auf Tollwood nur als Spielplatz, als Vehikel für Ideen und eventuell als Sitzgelegenheit - wie von Adam Stubley, der aus einem Schrottkarren eine Hollywoodschaukel bastelt. Vom Hügel aus kann man hierin sanft über dem Tollwood-Areal schweben, garantiert geräuschlos und abgasfrei.

Tollwood, Mi., 21. Juni, bis So., 16. Juli, Olympiapark Süd, Mo. bis Fr., 14-1 Uhr, Sa./So. 11-1 Uhr, 07 00/38 38 50 24

© SZ vom 14.06.17 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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