Feierstunde:Zeigen, wo Ausgrenzung enden kann

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Ein Kämpfer für Menschenrechte: Ernst Grube (Mitte), hier im Gespräch mit Kirchenrat Björn Mensing (links) und Apostolos Malamoussis, wurde am Dienstag im NS-Dokumentationszentrum geehrt. (Foto: Robert Haas)

Das NS-Dokumentationszentrum ehrt den Holocaust-Überlebenden Ernst Grube, der als Zeitzeuge ausspricht, was ihn umtreibt

Von WALTER GIERLICH, München

85, und kein bisschen leise. Diese abgewandelte Zeile aus einem alten Schlager kennzeichnet in kurzen Worten den Holocaust-Überlebenden Ernst Grube, der in der vergangenen Woche seinen 85. Geburtstag feierte. Am Dienstagabend ist der Jubilar aus diesem Anlass im Beisein vieler Familienmitglieder, Freunde und Weggefährten im NS-Dokumentationszentrum geehrt worden. Dessen Direktor Winfried Nerdinger dankt Ernst Grube, ohne dessen Einsatz es das Haus nicht gäbe. Anders als vor einigen Wochen bei der Verleihung des Georg-Elser-Preises der Stadt München an Grube ist die Politik diesmal kaum vertreten.

Grube, am 13. Dezember 1932 in München als Sohn einer jüdischen Mutter und eines kommunistischen Vaters geboren, erfährt in seiner Kindheit Ausgrenzung und Diskriminierung, wie Friedbert Mühldorfer von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) in seinem Vortrag darlegt. Doch auch nach der Befreiung aus dem KZ Theresienstadt, wohin Ernst mit seiner Mutter, seinem Bruder Werner und seiner Schwester Ruth 1943 deportiert worden ist, ist es mit der Verfolgung nicht vorbei. Als er nach der Rückkehr in München erlebt, wie über die Nazi-Zeit geschwiegen wird, wie man von den Erlebnissen der Verfolgten nichts hören will, beginnt er sich zu engagieren - in der Gewerkschaft und der Kommunistischen Partei. Er kommt in jener Zeit des militanten Antikommunismus zweimal ins Gefängnis.

Er wird wie sein Vater Malermeister, bietet im Laufe der Jahre mehr als 100 benachteiligten Jugendlichen eine Lehrstelle in seinem Betrieb, holt das Abitur nach und wird zusätzlich Berufsschullehrer. Beinahe wäre das am Radikalenerlass gescheitert. Erst als er dem zuständigen Beamten seinen Judenstern auf den Tisch knallt, darf er die Stelle antreten. Als dann von den Siebzigerjahren an die Zeitzeugen mehr und mehr in den Vordergrund rücken, interessiert sich die Öffentlichkeit auch für die Geschichte von Ernst Grubes Kindheit und Jugend. "Umtriebig" sei er und habe in den vergangenen 20 Jahren eine Menge Aktivitäten entwickelt, sagt Friedbert Mühldorfer. Unter anderem als Zeitzeuge an Schulen, als Redner bei Demonstrationen und Kundgebungen sowie als Vorsitzender der Lagergemeinschaft Dachau. "Er ist kein pflegeleichter Zeitzeuge", so Mühldorfer, "denn was ihn umtreibt, spricht er aus." Und dann landet er 2010 sogar im Verfassungsschutzbericht, aus dem er ein Jahr später dank einer großen Protestwelle wieder gestrichen wird.

Welch starken Eindruck Ernst Grube bei jungen Menschen hinterlässt, wird in einem Redebeitrag von Alex Dräger deutlich, die ein Freiwilliges Soziales Jahr im Doku-Zentrum absolviert. "Wir lernen in der Schule vor allem von der deutschen Diktatur zwischen 1933 und 1945, ohne den Vorlauf zu begreifen", sagt sie. Wie es dazu kommen konnte, sei hingegen kein Thema. Das erfahre sie von Grube. "Ernst, du machst mir Mut, wenn ich mich gegen Rechtsradikalismus engagiere", betont die junge Frau.

Grube kommt auch noch selbst zu Wort, als er anhand von alten Fotos im Gespräch mit Thomas Rink, dem pädagogischen Leiter des NS-Dokumentationszentrums, einige Stationen seines Lebens Revue passieren lässt. "In meiner Tätigkeit als Zeitzeuge versuche ich immer wieder, andere Wege zu gehen", sagt er. Er frage sich stets, wie er die Jugendlichen verschiedener Schularten erreichen könne. Schüler fragten oft nach Persönlichem, was es im Lager zu essen gegeben habe oder wann das Schreckliche beginne. "Und dann bin ich im Heute. Dann bin ich bei Flüchtlingen, bei Desinteresse der Gesellschaft. Dann bin ich bei all dem, was wir heute erleben." Und er fährt fort: "Mir liegt daran zu zeigen, wo Ausgrenzung, wo Diskriminierung enden kann." Er wisse, was Angst bedeutet, habe sie erlebt in Theresienstadt, bei Bombenalarm. Daher wisse er auch, "was ein Jugendlicher empfinden muss, der nachts aus dem Bett oder tags aus der Schule geholt und abgeschoben wird".

Zum Abschluss singt Aris Aristofanous in einem eigens für Ernst Grube geschriebenen Lied: "Wir wissen, du bist offen und kennen dich doch nicht ganz." Und tatsächlich: Wer wusste etwa, dass Ernst Grube in seiner Jugend ein hervorragender Fußballer beim TSV 1860 München war.

© SZ vom 21.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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