Fassmacher:Zu schön, um wahr zu sein

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Die Schäffler tanzen - zu einem wohl falschen Jubiläum

Eigentlich tanzen die Schäffler nur alle sieben Jahre, aber in diesem Jahr machen sie eine Ausnahme. 2017 ist nämlich das Jahr der großen Jubiläen: Vor 500 Jahren, im Oktober 1517, publizierte Martin Luther seine 95 Thesen gegen den Ablass-Missbrauch, was als Beginn der Reformation gewertet wird. Ebenfalls vor 500 Jahren, so heißt es zumindest, wagten sich erstmals die Münchner Fassmacher, die Schäffler, auf die Straßen und Märkte der spätmittelalterlichen Stadt, um die Überlebenden einer Pestepidemie, die ängstlich in ihren Häusern ausharrten, mit Tanz und Musik zu erfreuen und sie wieder ins Freie zu locken. Damit begründeten sie eine Tradition, die bis heute besteht.

Zuletzt zelebrierten die Tänzer, von denen nur noch wenige den Schäfflerberuf ausüben, im Winter 2012 ihren komplizierten Formationstanz. Regulär wären sie also erst wieder 2019 an der Reihe. Aber da ist ja das Jubiläum, die ominösen 500 Jahre. Um dieses zu feiern, legen die Schäffler Sonderschichten ein, die mit einem Eröffnungstanz am 21. Februar vor dem bayerischen Ministerpräsidenten in der Staatskanzlei beginnen. Bis zum 28. Februar tritt die Tanztruppe noch an diversen öffentlichen Plätzen innerhalb und außerhalb Münchens auf.

So liebenswürdig diese Tradition ist, und so lobenswert es ist, dass sie gepflegt wird - allzu viel Vertrauen sollte man nicht in die Richtigkeit des Gründungsdatums setzen. In der Stadtchronik steht kein Wort von einer Pestepidemie im Jahr 1517, auch von tanzenden Schäfflern weiß der Chronist nichts. Erstmals amtlich erwähnt wird der Reigen erst im Jahr 1702. Aber was soll's? Die Geschichte der Fassmacher, die tanzend gegen die Pest aufbegehrten, ist zu schön, um sie zu ignorieren.

© SZ vom 14.02.2017 / wg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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