Fallbeispiel 2:Auf sich selbst vertrauen

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Maria Vosse möchte weg von der Straße - auch für ihren Sohn

Von Milena Hassenkamp, München

Seit vier Wochen lebt Maria Vosse im Frauenobdach 51 und sie spürt zum ersten Mal, wie das ist, "auf sich selbst zu vertrauen". Sich um sich selbst kümmern. Wie das ist, wenn sich jemand anderes um sie kümmert, das hat die 35-jährige Frau wohl nie erfahren. Ihre Eltern lebten getrennt, der Vater litt an Schizophrenie und war Alkoholiker, die Mutter, bei der sie aufwuchs, schlug sie. Mit zwölf Jahren lernt sie den späteren Vater ihres Kindes kennen und geht zum Jugendamt, um für sich einen Platz im Heim zu beantragen. Zwei Suizidversuche hat sie zu dem Zeitpunkt schon hinter sich.

Das Heim gefällt ihr nicht, sie zieht zu ihrem Vater, geht nur noch selten zur Schule. Der Vater merkt es nicht, er ist durch Medikamente und Alkohol "ruhiggestellt", wie Vosse sagt. Mit 16 bricht sie endgültig die Schule ab. Mit 19 wird sie schwanger, zwischendurch landet ihr Freund im Gefängnis. Immer wieder haben die beiden "heftige Konflikte", schließlich trennen sie sich.

Sie wolle alles, sagt Vosse, nur nicht so werden wie ihre Mutter. Bei der Sorgerechtsverhandlung wirft man ihr vor Gericht vor, sie benutze ihren Sohn als Ersatz für einen Lebenspartner. Die Sorge um ihren Sohn, sagt sie, sei auch der Grund, warum sie nicht mehr schlafen könne.

Als sie vor einigen Monaten die Wohnung kündigte, um in Köln bei einem Schulfreund zu leben, da hatte ihr 15-Jähriger Sohn gerade "eine schwierige Phase". Er habe gesagt, ihm sei es egal, wenn sie ginge, er brauche sie nicht. Als es ernst wurde, habe er seine Meinung geändert. "Er wollte plötzlich die ganze Zeit bei mir sein." Also blieb Maria Vosse. Als sie das erzählt, lächelt sie wie ein junges Mädchen. Sie hat eine Beruhigungstablette genommen, damit sie am Abend einschlafen kann. Ihr Psychiater hat ihr dazu geraten.

Es ist das erste Mal, dass Maria Vosse Hilfe für sich selbst sucht. "Wenn es um meinen Sohn geht, dann schaffe ich das irgendwie, aber lange Zeit habe ich mich selbst nicht als wichtig wahrgenommen." Am nächsten Tag will sie zu einem Vorstellungsgespräch für einen Job als Betreuungsassistentin gehen. "Das würde mir gefallen, Menschen zu helfen", sagt sie. Und dann die Schule nachholen. "Das wäre ein gutes Gefühl."

© SZ vom 28.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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