Fall in München:Chronik eines unentdeckten Todes

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Hier wohnte eine psychisch kranke Frau jahrelang mit der Leiche ihrer Mutter zusammen. (Foto: Stephan Rumpf)

Fünfeinhalb Jahre lang lebte eine Münchnerin unbemerkt mit der Leiche ihrer Mutter in einer Wohnung. Wie es sein kann, dass die Behörden nicht früher einschritten - und warum die Leiche nicht verweste.

Von Florian Fuchs und Sven Loerzer, München

Als Polizisten die Leiche im Ehebett entdeckten, war sie bereits mumifiziert: Fünfeinhalb Jahre hatte eine psychisch kranke Frau ihre tote Mutter in einer Wohnung in der Blumenau liegen lassen. Kriminalpolizei und Sozialbehörden versuchen, den Fall nun zu rekonstruieren. Wie kann es sein, dass Behörden nicht früher einschritten? Wie kam es, dass die Leiche nicht verweste? Und ist die im März 2009 im Alter von 77 Jahren gestorbene Rentnerin eines natürlichen Todes gestorben?

Polizeisprecher Werner Kraus wies am Montag daraufhin, dass die Obduktion noch nicht abgeschlossen sei. Es deute zwar nichts daraufhin, dass die Rentnerin getötet wurde oder Suizid beging. "Wir können aber noch nichts ausschließen", sagte Kraus. Nach SZ-Informationen hatte die 55 Jahre alte Tochter als Ingenieurin Karriere gemacht, war aber in Frührente gegangen. Als ihre Mutter noch lebte, hatte die geschiedene Frau versucht, Suizid zu begehen, und war deshalb bei der Polizei bekannt. Was sie dazu bewog, ihre Mutter nicht zu beerdigen, ist unklar. Die 55-Jährige ist nun in einer Psychiatrie untergebracht. Sie wird sich unter anderem wegen Verstoßes gegen das Bestattungsgesetz verantworten müssen. Die Polizei wird auch ermitteln, ob sie jahrelang unberechtigt die Rente ihrer toten Mutter einstrich.

Was der Entdeckung voranging

Laut Sozialreferat schaltete die Hausverwaltung erst am 31. Oktober das Sozialbürgerhaus (SBH) Plinganserstraße ein, weil Nachbarn die alte Frau schon länger nicht mehr gesehen hatten. Dann ging alles schnell, die Behörden kümmerten sich sofort: Die Orientierungsberatung im SBH - die erste Anlaufstelle für alle neuen Fälle - erreichte am Telefon in der Wohnung der Mutter deren Tochter. Sie behauptete, ihre Mutter sei pflegebedürftig und bettlägerig, im übrigen sei aber alles in Ordnung.

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Der Fall ging weiter an die Bezirkssozialarbeit, die in der Woche danach zunächst vergeblich versuchte, wieder Kontakt aufzunehmen. Da sich herausstellte, dass die Tochter wohl zeitweise auch noch in einer anderen Wohnung lebte, versuchte der Bezirkssozialarbeiter, sie dort telefonisch zu erreichen, was am 10. November gelang. In dem Gespräch lehnte die Tochter jegliche Unterstützungsangebote ab, was einen erfahrenen Mitarbeiter misstrauisch macht. Er beharrte schließlich auf einem Hausbesuch bei der Mutter und vereinbarte den Termin für den 13. November.

Was die Ermittler in der Wohnung erwartete

Als die Tochter, anders als zugesagt, nicht erschien, alarmierte der Sozialpädagoge die Polizei, die die Wohnung öffnen ließ. Nach Kenntnis des Sozialbürgerhauses hat die Mutter keine Sozialleistungen bezogen. Grundsätzlich gehen die Mitarbeiter Hinweisen von Bürgern nach, die auf eine mögliche Gefährdung von Menschen schließen lassen. Wenn eine Kontaktaufnahme nicht gelingt, dann halten die Mitarbeiter sofort Nachschau - notfalls zusammen mit Polizei und Feuerwehr. Ist dagegen ein Kontakt über Angehörige möglich, versuchen Sozialarbeiter zu klären, welcher Unterstützungsbedarf besteht und vermitteln die nötigen Hilfen.

Als die Polizisten die tote Frau fanden, war sie bis zum Hals mit einer Decke zugedeckt. Dadurch seien kaum Fliegen an den Körper gelangt, erläuterte Thomas Althaus. "Das hat wohl dazu beigetragen, dass die Leiche nicht verweste", sagte der stellvertretender Leiter der Todesermittler von der Kriminalpolizei, die solche Fälle untersuchen.

Wieso die Leiche nicht früher entdeckt wurde

Laut Matthias Graw, Leiter der Rechtsmedizin, tritt eine Mumifikation unter anderem dann ein, wenn die Leiche austrocknet - ohne Körperflüssigkeiten können Bakterien nicht richtig arbeiten. Ideale Bedingung hierfür seien eine trockene, warme und bewegte Luft. Wie die Polizei bestätigt, hatte die Tochter die Wohnung der Mutter penibel sauber gehalten und ausreichend gelüftet. Offenbar entstand durch den Prozess der Mumifikation auch kein penetranter Geruch, der Nachbarn hätte alarmieren müssen. "Wer sich längere Zeit in einem Raum aufhält, nimmt unangenehme Gerüche nicht mehr wahr", sagt Rechtsmediziner Graw. Wenn zu Ableseterminen für die Heizkosten niemand öffnet, muss auch dies nicht gleich Folgen haben. Denn dann wird der Verbrauch einfach geschätzt.

© SZ vom 18.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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