Faduma Korn:Blitze, die im Kopf explodieren

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Als junges Mädchen wurde Faduma Korn in Somalia beschnitten - an den Folgen leidet sie noch immer. Doch schweigen will sie nicht mehr.

Lisa Sonnabend

In einem Auffanglager für Flüchtlinge, umgeben von Rechtsradikalen, in einem Krankenhaus in Burkina Faso - an Schauplätzen wie diesen spielt das Leben von Faduma Korn. Die 47-Jährige kam vor 30 Jahren von Somalia nach München. Ihre Lebensaufgabe ist es geworden, Sprachlosen eine Stimme zu geben, wachzurütteln, zu helfen.

Kämpft gegen das Ritual der Beschneidung und setzt sich für Flüchtlinge in München ein: Faduma Korn. (Foto: Foto: Walter Korn/oh)

Die zierliche Frau mit den gekräuselten Locken geht in der Küche ihrer Altbauwohnung in Haidhausen auf und ab und gestikuliert mit den Händen. Ruhig bleibt Faduma Korn nie, nur selten lehnt sie sich zurück. Jeden Tag beantwortet die 47-Jährige über hundert Emails, führt zahlreiche Gespräche am Telefon und steigt ins Auto, wenn sie gebraucht wird. "Sich für andere einzusetzen, macht glücklich", sagt Faduma Korn. "Weil man eine Spur im Leben der anderen hinterlässt und diese lernen, auch zu helfen."

In ihrer Kindheit hätte Faduma Korn selbst Hilfe gebraucht. Mit ihrer Nomadenfamilie zog sie durch die Wüste von Somalia. Sie war glücklich, bis sie im Alter von sieben Jahren beschnitten wurde. "Es ist, wie wenn Blitze im Kopf explodieren", beschreibt Faduma Korn den Schmerz rückblickend. Dann fiel das Mädchen in Ohnmacht. Es blieb ein stecknadelgroßes Loch, durch das Urin und Blut abfließen konnten.

Die Beschneidung ist ein Schicksal, das in Somalia wohl 98 Prozent aller jungen Mädchen ereilt. Viele Mädchen sterben an den Folgen der Beschneidung. Sie verbluten, bekommen eine Blutvergiftung oder stecken sich mit dem HI-Virus an. Weltweit gibt es nach Schätzungen der WHO 130 Millionen beschnittene Frauen, in Deutschland sind wohl etwa 20.000 Frauen betroffen.

Bei Faduma entzündete sich die Wunde, sie hatte wochenlang hohes Fieber und rang mit dem Tod. Als Folge der furchtbaren Prozedur konnte sich Faduma nicht mehr richtig bewegen und nicht mehr mit ihrer Familie durch die Wüste ziehen. So kam sie zu ihrem Onkel nach Mogadischu.

Doch die Folgen der Beschneidung plagten Faduma weiter, sie litt unter starkem Rheuma. Faduma Korn wurde zur Behandlung nach Europa geschickt. 1979 kam sie in München an. Dort lernte sie im Fasching ihren Mann kennen. Später bekam sie einen Sohn und begann, sich gegen die Praxis der Beschneidung zu engagieren.

München gefällt der Somalierin. Die Sturheit der Bayern, der Hang zur Tracht, die Vorliebe für Bärte, das Verhältnis zur Politik - vieles erinnert sie an die Menschen in Mogadischu. Zwar gebe es hier kein Meer, aber dafür große Seen und Flüsse. Doch auch heute noch spürt sie die Folgen der Beschneidung. Sie hat Gleichgewichtsstörungen, kann nicht auf einer Linie gehen, durch das Rheuma sind ihre Hände verkümmert.

Ihre Mutter starb, als Faduma noch jung war, ihr Vater wurde ermordet. Ihre großen Brüder und ihre Verwandten in Somalia vermisst Korn. "Und eine Großfamilie zu haben, die mich nicht braucht." Denn in München wird sie gebraucht. 2001 trat Korn der Organisation Forward Germany bei, die sich gegen das Ritual der Beschneidung einsetzt.

Lesen Sie weiter: Wie Faduma Korn nun von München aus gegen das grausame Ritual kämpft.

Seitdem hält sie Vorträge vor Schulklassen, sie hat im ZDF bei Kerner über die grausame Tradition gesprochen. 2004 erschien ihr Buch über ihr Leben in der Wüste, in Mogadischu und in München: "Geboren im großen Regen. Meine drei Leben".

Ein Besuch bei der Familie: Faduma Korn in Somalia. (Foto: Foto: Walter Kern/oh)

2007 erhielt sie für ihr Engagement den Förderpreis Münchner Lichtblicke. Korn hat ein enges Verhältnis zu Edith von Welser-Ude aufgebaut und damit guten Kontakt zum Oberbürgmeister. "Der diplomatische Weg ist effektiver als der rebellische", sagt Korn. Korn versucht, in Deutschland Aufklärung unter den afrikanischen Bewohnern zu leisten, und vor Ort die Beschneiderinnen dazu zu überreden, einen anderen Beruf zu ergreifen.

Als Dolmetscherin setzt sich Faduma Korn zudem für somalische Flüchtlinge ein. Sie übersetzt bei Gerichtsterminen oder am Flughafen, wenn sie vom Bundesgrenzschutz gerufen wird. Sind die Flüchtlinge traurig oder stecken in Problemen, bleibt Korn ein wenig länger und spricht mit ihnen.

Die Einsamkeit sei für die Flüchtlinge das Schlimmste, sagt Korn. "Viele zerbrechen daran." Denn sie haben meist niemanden, mit dem sie in ihrer Muttersprache reden können. Nur Faduma Korn. "Die Erwartungen der Flüchtlinge sind oft zu hoch", sagt die 47-Jährige und seufzt. "Sie denken, ich mache alles, doch das schaffe ich nicht."

In der Wohnung von Faduma Korn in Haidhausen hängen Fotos und Hüte aus der Heimat an der Wand, in der Ecke steht eine afrikanische Vase. Nur Kassetten mit somalischer Musik hat sie keine einzige. Die hat Korn alle den Flüchtlingen geschenkt, um deren Einsamkeit ein wenig erträglicher zu machen.

Für die Zukunft hat Faduma Korn viel vor. Im September soll ihr drittes Buch erscheinen, sie organisiert bereits Lesungen und Vorträge. Und demnächst will sie nach Burkina Faso reisen. Dort hat sie den Bau einer Krankenstation unterstützt. Die Schauspielerin Katja Riemann wird sie voraussichtlich begleiten. Derzeit sammelt Korn bei Ärzten und Kinderärzten in Haidhausen Medikamente und Spritzen. Mit einem Koffer voller Spritzen und ein wenig Kleidung für sich wird sich Faduma Korn dann aufmachen, um das zu tun, was sie zu ihrer Lebensaufgabe gemacht hat: helfen.

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