Extremes:Hundert Jumps für vier Minuten Film

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Ein Team aus München gewinnt beim spektakulären Red Bull Hike & Ride Contest.

Thomas Becker

"E. L. F. Mist. Das ist die Benzinfirma. Vinz, das mit der Feuernummer kannste vergessen. Hier steht'n Tank." So was aber auch. Genau da, wo Vinz und sein Kumpel Lexi mit dem Snowboard vom Geländer in die Tiefe springen und dabei noch ein bisschen Feuerzauber verbreiten wollen, genau da steht dieser blöde Öltank. Wahrscheinlich der einzige im ganzen Dorf. Hilft ja nix. "Dann halt ohne", sagt Vinz und packt den Benzinkanister wieder ins Auto.

Spektakuläre Bilder eingefangen (Foto: Foto: redbull.com)

Mitternacht in Le Crosets, einer kleinen Skistation an der französisch-schweizerischen Grenze, knapp 1700 Meter über dem Meer, aber im Moment sehr deutlich unter dem Gefrierpunkt.

Die zwei Münchner haben sich nach dem Abendessen statt ins Bett noch mal in die Skiklamotten geschmissen und die Protektoren angelegt. Mit ein paar Helfern drehen sie einen Film. Vier Minuten wird er lang sein, und sie haben verdammt wenig Zeit dafür.

Deshalb die Aufnahmen zur Geisterstunde und in der Eiseskälte. Erst gestern haben sie die kleine Handkamera bekommen und erfahren, wo sie überhaupt drehen werden. Klingt alles abenteuerlich, ist es auch und heißt Red Bull Hike&Ride.

Und das geht so: Acht Snowboard- oder Ski-Duos aus Europa und den USA bekommen am Donnerstagmittag in Zürich eine Videokamera in die Hand, werden ins fast drei Stunden entfernte Skigebiet Portes du Soleil geschickt und haben bis Sonntagmittag mit einem möglichst originellen, spektakulären Video, das sie selbst schneiden und mit Musik unterlegen müssen, wieder in Zürich aufzutauchen.

Wie sie das anstellen, ist ihre Sache. Ob sie im Hotel, im Auto oder überhaupt nicht schlafen, bleibt ihnen überlassen. Dafür entscheidet auch keine Jury über den Sieger, das tun die Sportler selbst. Schöne Idee.

Zurück in Le Crosets. Der Zeiger geht auf ein Uhr morgens, die Szene ist noch immer nicht im Kasten. Vielleicht zwei Sekunden werden davon übrig bleiben, aber bis die geborgten Utensilien (Tisch, Stühle, Wolldecke) zu einer Absprungrampe zusammengewurstelt sind, bis genügend Schnee auf den Asphalt im Auslauf geschaufelt ist, bis die Autoscheinwerfer die richtige Stelle beleuchten, vergeht viel Zeit.

Dabei hat die Truppe schon eine verheerende erste Nacht hinter sich: Tief in Drehbuch-Gedanken, hatte man die Ausfahrt verpasst und erst nach sehr vielen Kilometern gemerkt: "Ups, Genf ist jetzt aber definitiv zu weit." Um halb vier läuft das insgesamt sechsköpfige Team Germany endlich ein - und muss sich in ein Vier-Bett-Zimmer quetschen.

Der kommende Tag: komplett im Nebel, null Sicht. Die Filmcrew bewegt sich im größten zusammenhängenden Skigebiet der Welt (immerhin 650 Kilometer Piste) im Umkreis von ganzen 500 Metern um ihr Hotel herum. Spektakuläre Bilder: nicht wirklich.

Dann muss halt eine gute Story her. Die Zutaten: Sex, Snow-Action und natürlich ein bisschen Skifahrer-Verarsche. Die Darsteller: das eher blasse Kent-Clarke-Superman-Gesicht Vinzenz Lüps aus Utting am Ammersee, frisch gebackener Olympia-Neunter in der Halfpipe, und die Münchner Stoppelbartsommersprosse Alex Schmaltz, ebenfalls Snowboardprofi und vor ein paar Jahren deutscher Meister in der Halfpipe.

Strategie: Sex, Snow und Action (Foto: Foto: redbull.com)

Nur die beiden dürfen die Kamera bedienen, Nebendarsteller sind erlaubt. So muss Paddy, der Kumpel von Vinz, den armen Skifahrer spielen, der ständig auf die Mütze bekommt und später mit einem Teller Spaghetti samt Tomatensoße über die Terrasse segeln wird.

Dafür darf er Vinzenz' farbenfrohe Team-Germany-Olympia-Jacke tragen, samt der albernen Mütze - was viele neugierig macht: "Hey, wo hast'n die her?" Dabei entwirft er selbst Streetware, stattet demnächst in der Pasinger Fabrik "Figaros Hochzeit" aus - nur nicht ganz so bunt wie Kollege Bogner.

Kurz vor zwei. Die letzten Pistenraupen kommen rein, wollen exakt dort parken, wo das Münchner Beleuchter-Auto steht. "C'est pour les machines, pas de voitures." Neuen Platz suchen, Scheinwerfer justieren. Endlich passt alles, die Kamera läuft, die Jungs springen.

"Macht eigentlich nicht viel her", meint Lexi. Kommt drauf an: Für Menschen, die noch nie mit einem Snowboard von einem handbreiten Geländer mitten in der finsteren Nacht sechs, sieben Meter tief auf ein Stück Schnee gesprungen sind, macht es schon was her.

Dass die beiden anderes gewohnt sind, zeigt sich am nächsten Morgen. Der Nebel hängt im Tal, die Sonne lacht über den Dreitausender-Zacken der Dents du Midi: bestes Action-Wetter. Was nun in den nächsten Stunden passiert, ist schlichtweg atemraubend: Sprünge, Turns, Verfolgungsjagden wie im Film - nur dass man immer nebenher fahren kann.

Na ja, fast immer. Und all diese unglaublichen Stuntszenen entstehen in einer Atmosphäre der Beiläufigkeit, als hätte man zuvor verabredet, heute mal den Ball einfach so ins Tor zu schieben. Die Jungs drehen gerade eine dieser Geländer-Szenen im Funpark, als sich Vinz sein Brett schnappt, kurz "Ich probier' den doch mal" sagt, um Minuten später mit einem dermaßen hohen Frontside-720-Nose-Grab (will sagen: dreifache Drehung samt Griff ans Brett) gut 20 Meter weit über eine gigantische Schanze zu fliegen, dass ringsum jedem der Mund offen steht.

Da hauen sich die beiden über ihre geradewegs in den Himmel gebaute Schanze, dass einem vom Zuschauen übel wird. Finden tatsächlich hinter diversen Absperrungen noch Tiefschnee, obwohl es vor fünf Tagen zuletzt geschneit hat.

Krabbeln zig Mal im hüfttiefen Pulver zu irgendwelchen Jump-Spots, kämpfen mit der Technik ("Sorry Mann, den hab' ich jetzt nicht drauf") - alles ohne Pause, nur mit ein paar Schluck Wasser und etwas Traubenzucker. "Mittagspause? Das ist das mit dem Hinsetzen, oder?", sagt der Begleit-Kameramann und zieht einen Müsliriegel aus der Tasche: "Das ist unsere Mittagspause."

Leere Akkus

Gegen vier Uhr nachmittags sind die Akkus der Nimmermüden alle. Vinz wird philosophisch ("Was man den ganzen Tag so macht! Am Berg rumstehen, Spuren suchen und Schanzen bauen wie die kleinen Kinder"), ruft irgendwann ins Walkie-Talkie:

"Paddy, ich hab' Hunger, mach was! Fondue wär' klasse." Lexi schaut ungläubig: "Spinnst jetzt? Stundenlang Fondue essen und noch a Flasche Rotwein, dass wir schön müd' werden. Höchstens McDonald's im Vorbeifahren ist drin." Er hat ja recht:

Sie wollen noch das Hoteldach runterfahren, die Spaghetti-Szene drehen und müssen spätestens um neun ihr Filmmaterial abgeben, bevor es ans Schneiden geht. Zu allem Übel springt dann das Auto nicht an: Die Batterie ist leer -zu lange beleuchtet in der Nacht.

Ein ölverschmierter Pistenraupengaragist hilft mit einem Überbrückungskabel, der Stau vor Zürich hat sich aufgelöst, sie kommen gerade noch rechtzeitig an. Puh!

Auch diese Nacht wird eklig lang. Aufgereiht in spartanischen Mini-Containern hocken sie neben Schweden, Tschechen, Schweizern, Engländern, Franzosen, Österreichern und Amis mitten in Zürichs hippem Ausgehviertel. Ein junger Techniker gibt Tipps zum Schneiden des Materials. Drei Stunden müssen zu vier Minuten verarbeitet werden.

Es dauert, bis man sich zunächst auf eine Vorgehensweise geeinigt hat. Um elf steckt ein Besucher die Nase rein, sagt: "Oh, hier wird gearbeitet, man riecht's" - und verzieht sich wieder. Dienstbare Geister fragen jede halbe Stunde: "Hannt ihr Chaffee welle?" Kaffee? Klar, gerne.

Um Mitternacht gibt's einen schnellen Cocktail: Vinz hat Geburtstag, wird 25. Cheerio - und weiter geht's. Um halb drei ist die Stimmung immer noch gut, Paddy massiert Vinz, nur über die Musik ist man sich noch nicht so ganz einig: Hip-Hop oder doch eher harten Geradeaus-Rock? Lexi fallen um fünf die Augen zu, Vinz kämpft noch bis halb acht am Morgen.

Zwei Stunden später hockt Lexi schon wieder am Computer - so geht das den ganzen Sonntag lang. Vom Brunch in der stylishen Garage nebenan bekommen sie kaum etwas mit.

Sanfte Gewalt

Um fünf am Nachmittag müssen die Veranstalter die beiden fast zwingen, zum Ende zu kommen, mit sanfter Gewalt werden Vinz und Lexi aus dem Container befördert. Die Zeit ist um, alle Teams schauen sich nun gemeinsam die Filme an - und küren den Sieger.

Als dieser ein paar Stunden später auf der Abschlussparty im Club Mascotte verkündet wird, kündigt sich die nächste harte Nacht für Lexi, Vinz und Paddy an: Team Germany hat 5000 Euro und somit Platz eins gewonnen, auch wenn ihr Film "Strapped in" für den US-Markt zensiert werden muss: too much sex.

Ein nackter Männer-Hintern in Action - das ist dann doch zu viel fürs prüde Amerika. "A snowboard porno? Yes, a snowboard porno!" heißt es auf der Homepage. "Don't show it to the kids", hat der Webmaster noch angefügt. Gar nicht auszudenken, was passiert wäre, hätten sie auch noch die Feuernummer gedreht.

© SZ vom 2.3.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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