Europas erste Partnerbörse für Aidskranke:Mit einer Anzeige aus der Isolation

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Gesellschaftliche Ausgrenzung und Einsamkeit sind neben den körperlichen die wohl schlimmsten seelischen Nebenwirkungen der HIV-Infektion. Aus Angst vor Ansteckung finden Betroffene nur schwer einen Lebensgefährten. In einem Ort mit 200 Einwohnern betreibt Beate Mayerle Europas erste Partnervermittlung für HIV-Infizierte.

Martin Zips

Bei Beate Mayerle war das so: Sie hat ihren Mann bei einem Sprachkurs in Ulm kennen gelernt. Ganz einfach. Die junge Wirtschaftskorrespondentin aus Mülheim an der Ruhr verliebte sich in den Bundeswehrsoldaten aus Oberglauheim.

Bislang starben 2005 rund 3,1 Millionen Menschen an Aids. (Foto: Foto:)

Bald zog Beate Mayerle nach Schwaben. In das 240-Einwohner-Örtchen Oberglauheim. Heute ist die Frau mit den kurzen, braunroten Haaren 38 Jahre alt und hat mit ihrem Mann drei Kinder. In Oberglauheim betreibt sie eine Partneragentur. Sie vermittelt unter anderem Behinderte. Und HIV-Infizierte. "Das ist einmalig in Europa", sagt sie.

Ein sehr kalter Wind peitscht an diesem Vormittag durch Oberglauheim. Er fegt über die Felder, wo sich vor 300 Jahren Hunderttausende im Spanischen Erbfolgekrieg eine wüste Schlacht lieferten. Lange her. Im ersten Stock eines Hauses neben dem Friedhof erzählt Beate Mayerle über sich. Über den Herzfehler, wegen dem sie als Kind oft im Krankenhaus war.

"Diese Erfahrung von Leben und Tod prägt mich bis heute." Im Bett neben ihr lag damals ein ebenfalls herzkrankes Mädchen. "Sie fühlte sich von ihren Eltern verstoßen, weil sie nicht verstand, warum man sie schon wieder im Krankenhaus abgegeben hatte."

Beate Mayerle berichtet von der Zeit, als sie noch die einzige Protestantin in Oberglauheim war, die Menschen sie auf der Straße nicht grüßten und es in der Kirche für sie keine Kommunion gab. Die drei Kinder ließ sie dennoch protestantisch taufen. "Gemeinsam brauchten wir ja keine Ausgrenzung zu befürchten." Es sind Geschichten vom Anderssein, die sie eher beiläufig erzählt.

Schweizer Dependance in Schwaben

Und dann spricht Frau Mayerle über ihre Cousine in der Schweiz, eine seh- und hörbehinderte Frau, von der sie erfuhr, wie schwer die Partnersuche gerade für Menschen mit Behinderung ist. "Man kriegt doch keinen ab." Die Cousine wandte sich an eine Zürcher Partneragentur, die auf die Vermittlung von Behinderten spezialisiert ist.

Von so einer Agentur hatte Beate Mayerle zuvor noch nie etwas gehört. "Das wäre doch genau die richtige Arbeitsstelle für dich", meinte die Cousine aus der Schweiz.

Dieser Satz ließ Beate Mayerle nicht mehr los. Sie reiste in die Schweiz, stellte sich bei der Gründerin der Agentur, einer Frau Klausberger, vor. Sie erfuhr, dass man hier neben Behinderten auch Aidskranke vermittelt und wegen der großen Nachfrage jemanden für eine Dependance in Süddeutschland sucht.

Seit einem halben Jahr nun betreut Frau Mayerle diese Dependance, die sich "europaweit einmalig" nennen darf, weil die Schweiz kein Mitglied der EU ist. Wenn ihre Kinder in der Schule und im Kindergarten sind, telefoniert und tippt Beate Mayerle im ersten Stock ihres Hauses, versucht für ihre mittlerweile mehr als 30 Kunden passende Partner zu finden.

Sie bietet ihrem Besuch auf herzroten Sofas Kaffee und Brezel an, spricht über Treue, Liebe, Behinderung und Aids. Auch, wenn bisher nur ein unauffälliges Schild an der Klingel auf die "Partnervermittlung mit Herz" hinweist, sagt Frau Mayerle, "so bin ich mir doch bewusst, dass hinter meinem Rücken in Oberglauheim viel über mich und meine Arbeit geredet wird". Das ist so auf dem Land.

Peter sucht eine Partnerin, die keine Angst vor seiner Liebe hat

"Aber ich bin gegen Ausgrenzung. Und ich habe meinen Weg gefunden." - "Wir kriegen von dem, was sie tut, nichts mit", sagt ein Mitglied des Oberglauheimer Bauernverbands. "Wieso sollten wir also ein Problem mit so etwas haben?"

Einer ihrer Kunden ist Peter. Peter ist nicht schwul, er geht nicht in Dark-Rooms. Er lebte in einer ganz gewöhnlichen Beziehung, als er sich bei einer Bluttransfusion mit HIV infizierte. Seine Freundin trennte sich von ihm; seine Eltern unterstellten ihm perverse Neigungen; neue Bekanntschaften scheiterten, nachdem Peter von seiner Krankheit berichtet hatte.

Nun sucht er eine ebenfalls infizierte Lebenspartnerin. Weil die, so denkt er, keine Angst vor seiner Liebe hat. Beate Mayerle kann nichts versprechen. "Die Agentur ist noch jung." Aber vielleicht werde sich jemand für Peter finden. Bei ihrer Schweizer Cousine habe sich ja auch jemand gefunden.

In diesen Tagen ist oft von neuen Rekorden im Zusammenhang mit Aids die Rede. 40,3 Millionen Infizierte weltweit. 3,1 Millionen Tote in diesem Jahr. 6800 Infizierte in Bayern, allein 2005 gab es 375 Neuinfektionen. So viel wie noch nie.

Beate Mayerle sagt: In den Zeitungen lese sie immer nur Kontaktanzeigen, in denen sich Menschen als hübsch und gesund beschreiben. "Und wo ist die Rubrik ,Behinderte und Kranke suchen einen Partner'?" Ausgrenzung, meint sie, habe viele Gesichter.

© SZ vom 30. November 2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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