"Es dreht sich ja nicht alles nur noch um Politik":Kleine Siege

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Margit Lindner, Hazım Yılmaz und Aylin Romey (von links) freuen sich über den Erfolg der Filmwoche. Es könnten noch mehr Jüngere kommen, sagen sie. (Foto: Robert Haas)

Margit Lindner, Hazım Yılmaz und Aylin Romey organisieren die Türkischen Filmtage in München. Sie leben einen Dialog zwischen den Kulturen, der an vielen Orten ins Stocken geraten ist

Von Martina Scherf, München

Erdoğan beherrscht die Nachrichten. Der türkische Premier versetzt Europa in Aufruhr, und das Bild seines Landes ist seit Monaten geprägt von den immer gleichen Szenen: Propaganda-Aufmärsche, Demonstrationen, Verhaftungen, Anschläge. "Wir dürfen uns davon den Blick nicht verstellen lassen", sagt Hazım Yılmaz. Der 35-jährige Bauingenieur war erst vor kurzem in der Heimat. Er kommt aus Antalya, dem Ferienort an der Südküste. Der Tourismus liegt brach, sagt er, das ist sehr traurig für die Menschen dort. "Aber es ist durchaus nicht so, dass sich alles nur noch um Politik dreht. Die Türkei hat so viele Facetten und eine reiche Kultur, es ist ganz wichtig, dass wir das nicht aus den Augen verlieren." Und so ein Filmfest, wie es der Münchner Verein Sinematürk derzeit wieder veranstaltet, könne da ein wenig dazu beitragen.

Yılmaz ist Cineast und seit drei Jahren Vorsitzender von Sinematürk. In seiner Heimat Antalya findet eines der wichtigsten türkischen Filmfestivals statt. Die Filme, die dort erfolgreich sind, versuchen die Münchner auch für ihr kleines Filmfest zu bekommen. In Antalya hat Yılmaz schon als Jugendlicher seine Leidenschaft für den Autorenfilm entdeckt.

Er ging dann als junger Ingenieur nach San Francisco, schrieb dort seine Doktorarbeit und kehrte 2009 den USA den Rücken. Der Liebe wegen kam er nach München, arbeitet wieder als Ingenieur. "Ich hatte vorher nie etwas mit Deutschland zu tun", sagt der hochgewachsene Mann und lacht. Aber er ist neugierig und aufgeschlossen und lernte schnell Deutsch. Die erste Liebe verflog, eine zweite kam, gerade hat er geheiratet. Dass es in München Sinematürk gibt, macht ihn glücklich. So kann er seine alte Leidenschaft wieder pflegen.

Zur Eröffnung der Filmtage am vergangenen Freitag im Gasteig haben sie den Spielfilm "Mavi Bisiklet" gezeigt, in dem Kinder eines anatolischen Dorfes ein Beispiel für Zivilcourage vorleben. Der Saal ist voll, und das Münchner Publikum freut sich diebisch über die kleinen Siege, die die Jungs im Film über ihren autoritären Schuldirektor davon tragen. Im Foyer verteilen einige Münchner Türken Flyer, die über Erdogans geplante Verfassungsänderung informieren und aufrufen, mit "Hayir" (Nein) zu stimmen. Einige Damen aus dem Kino-Publikum stecken sich die roten Hayir-Buttons ans Revers. Widerspruch gibt es keinen.

Es ist der türkische Mittelstand, der sich hier trifft, Anwälte, Angestellte, Unternehmer, Frauen ohne Kopftücher. Man begrüßt sich mit "Merhaba" und "Grüß Gott" - Münchner, die spannungsfrei mit ihren zwei Kulturen leben und wollen, dass das so bleibt.

"Konfliktfrei war das Leben in der Türkei noch nie", sagt die Orientalistin Margit Lindner, 56. Die himmelweiten Unterschiede zwischen Stadt und Land, zwischen aufgeklärtem Bürgertum und starren Konventionen, zwischen Türken und Kurden, sie haben sich schon immer in den Werken der unabhängigen Filmemacher gespiegelt.

Lindner gehört zu den Gründungsmitgliedern von Sinematürk, der Verein existiert seit 28 Jahren. Es waren einige Filmenthusiasten, Türken und Deutsche, die damals gemeinsam den Verein ins Leben riefen. Eine griechische Filmwoche gab es schon, nun wollten sie auch junge, engagierte türkische Filme nach München bringen. 1989 haben sie begonnen. Seither wird ihr Festival wie andere Filmwochen vom Kulturreferat unterstützt und ist eine feste Größe im Münchner Kulturleben.

"Der Autorenfilm hat es nirgends leicht, aber besonders nicht in der Türkei", sagt Lindner, wo die Filmwirtschaft in wenigen Händen konzentriert ist und die Leute am liebsten Serien schauen. Lindner arbeitet in der Münchner Stadtbibliothek als Referentin für Interkulturelle Arbeit und spricht fließend Türkisch. Anfangs haben sie die Dialoge noch selbst übersetzt und über Kopfhörer eingesprochen. Heute sind alle Filme mit deutschen oder englischen Untertiteln versehen. Gespräche mit Regisseuren gehören dazu, auch Fatih Akin hat seine ersten Werke auf den Türkischen Filmtagen präsentiert.

Etwa 15 ständige Mitglieder hat Sinematürk, die meisten sind türkischstämmige Münchner. Einmal die Woche treffen sie sich im Restaurant Abant in der Ligsalzstraße im Westend und tauschen sich über die neuesten Filme aus. Viele Themen wiederholen sich, sagt Margit Lindner. Verbotene Liebe, Macht und Ohnmacht, und wie sich der Einzelne dazu verhält. "Ein wichtiges Thema ist immer wieder die Migration, vom Land in die Stadt, von der Stadt nach Europa", sagt Lindner. Der Dokumentarfilm "650 Wörter" etwa, der in dieser Woche gezeigt wird, lässt Menschen zu Wort kommen, die zu ihrer Familie nach Deutschland ziehen wollen und vorher einen Sprachtest absolvieren müssen. Ihre Anekdoten, Sehnsüchte und Geschichten erzählen auch von der komplizierten Beziehung zweier Länder.

"Zur Zeit herrscht große Unsicherheit, auch unter den Filmemachern", bemerkt Aylin Romey, die mit Lindner und Yılmaz im Vorstand von Sinematürk sitzt. "Deshalb sind die Festivals so wichtig, um sich auszutauschen", sagt sie. Die Kultur könne immer noch Brücken bauen, wo die Politik längst Fronten aufgebaut hat. "Und gerade wir, die wir in München unseren Lebensmittelpunkt haben, müssen den Dialog suchen. Ich wünsche mir, dass wir uns nicht polarisieren lassen, sondern mehr miteinander reden", sagt die schlanke, ernste junge Frau. Dass in diesem Jahr Kinder in mehreren Filmen die Hauptrollen spielen, sieht sie als Zeichen: "Kinder stehen für die Hoffnung auf ein besseres Leben".

Sie selbst kam mit zwölf Jahren nach Deutschland. Ihre Mutter ist Deutsche, ihr Vater Türke. Nach dem Abitur hat sie in Passau European Studies studiert und war mehrere Jahre im Ausland, bevor sie nach München zurückkehrte. "Sinematürk hat mir das Ankommen leichter gemacht", sagt sie. Die Diskussion über die Auswahl der Filme ist immer wieder auch eine Auseinandersetzung mit der eigenen Identität.

Romey arbeitet als Pädagogin mit Jugendlichen, die aus allen möglichen Kulturen kommen. "Ich muss da jeden Tag wieder neu lernen, mit ihnen zu reden, ohne sie gleich in Schablonen zu stecken. Wenn wir das auch in einem größeren Kreis lernen, dann haben wir etwas erreicht", sagt sie.

Die Türkischen Filmtage gehen noch bis Sonntag, 26. März, im Gasteig (alle Filme Türkisch mit deutschen oder englischen Untertiteln); am Samstag, 25. März, gibt es eine Party in der Uni-Lounge am Geschwister-Scholl-Platz, www.sinematurk-muenchen.de

© SZ vom 21.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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