Erotische Literatur:"Die Münchner sind Ästheten"

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"Sinn und Sinnlichkeit" ist die etwas andere Fachbuchhandlung in München: Besitzerin Ulrike Müller über erotische Literatur und die Offenheit der Münchner.

Dagmar Bartosch

Vor knapp drei Jahren eröffnete Ulrike Müller ihre eigene Buchhandlung - mit einem ungewöhnlichen Konzept: Sie verkauft in dem Geschäft "Sinn und Sinnlichkeit" erotische Literatur. Seit in Berlin eine Buchhandlung mit ähnlichem Sortiment geschlossen hat, ist sie die Einzige mit diesem Konzept. Derzeit stehen 1400 erotische Titel in ihrem Laden - von Romanen und Lyrik bis zu Sachbüchern über erotisches Fesseln.

Ulrike Müller liest selber gerne erotische Literatur. Heute verkauft sie in ihrem Laden 1400 erotische Titel. (Foto: Foto: Bartosch)

sueddeutsche.de: Frau Müller, warum ausgerechnet erotische Literatur und keine Krimis oder Kinderbücher?

Ulrike Müller: Ich mochte erotische Bücher immer gerne, fand es aber sehr schwierig, gute Titel zu finden. Ich habe mir immer gewünscht, dass jemand das einmal sammelt und zusammenstellt. Vor drei Jahren habe ich dann eben selber eine Buchhandlung aufgemacht.

sueddeutsche.de: München ist nicht unbedingt dafür bekannt, sehr freizügig und offen zu sein. Wie wurde die Buchhandlung angenommen?

Müller: Ich habe fast nur positive Resonanz bekommen. Nur ganz am Anfang hat sich ein Mann einmal furchtbar über einen Bildband im Schaufenster aufgeregt, auf dem eine Frau in Unterwäsche war. Das fand er entsetzlich! Sonst bekomme ich aber viel Lob für das Sortiment. Einmal hat ein Kunde zu mir gesagt: "Bei Ihnen ist es ja wie im Museum."

sueddeutsche.de: Was genau versteht man denn unter erotischer Literatur?

Müller: Grundsätzlich geht es darin immer um eine Beziehung zwischen Menschen, die mit körperlicher Liebe zu tun hat. Ab da hat das Thema unheimlich viele Facetten. Ich habe als Hilfestellung für die Kunden drei Kategorien gebildet. Erstmal gibt es die "sexy" Literatur: Das sind meist Taschenbücher, die man gut mitnehmen kann - leichte Lektüre, die anregt und Spaß macht. Dann gibt es die "erotische" Literatur, in der durch Erotik auch Werte und Normen einer Gesellschaft verdeutlicht werden - das kann durchaus problembehaftet sein. Zuletzt gibt es noch die "sinnliche" Literatur, in der das Thema spürbar, aber eher unterschwellig vorhanden ist.

sueddeutsche.de: Und was lesen die Münchner am liebsten?

Müller: Die Münchner lieben schöne Bildbände. Die Münchner sind Ästheten. Ich glaube, wenn ich in einer anderen Großstadt wie Berlin wäre, würden die Bildbände nicht so gut gehen.

sueddeutsche.de: Was macht den besonderen Reiz erotischer Bücher aus?

Müller: Sprache lässt Raum für eigene Bilder. Und Lesen lässt Zeit für die eigene Geschwindigkeit. Das ist mit einem Film überhaupt nicht vergleichbar. Erotik ist ein sehr intimes Thema - eines, über das man nicht mit jedem spricht. Lesen bietet die Möglichkeit, sich an Bereiche heranzutasten, die einen interessieren. Während ich lese, ist in meiner Phantasie alles möglich - das ist der Reiz.

sueddeutsche.de: Vom Schaufenster aus sieht man vor allem Bildbände und Romane. Die Bücher über Fesselspielchen sind hinter der Wand versteckt. Ist die Gesellschaft dafür noch zu verklemmt?

Müller: Nein, das hat andere Gründe. Ich achte genau darauf, was im Schaufenster steht - es gehen ja auch Kinder daran vorbei. Außerdem möchten Kunden, die sich für diese speziellen Themen interessieren, in einem ungestörten Bereich schmökern. Damit auch für sie die Intimsphäre gewahrt bleibt, stehen diese Titel etwas abseits.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wer in der Buchhandlung stöbert und warum es unbedingt das Glockenbachviertel sein sollte.

Erotische Literatur
:Acht Bücher, die es in sich haben

Lese-Tipps von Ulrike Müller, Besitzerin der erotischen Buchhandlung "Sinn und Sinnlichkeit" in München.

sueddeutsche.de: Wer sind Ihre Kunden?

Müller: Mein jüngster Kunde ist gerade 18 - es gibt nämlich eine Altersbeschränkung für den Laden. Mein ältester Kunde ist über 80. Das Thema zieht sich eben durch das ganze Leben.

sueddeutsche.de: Kaufen eher Frauen oder Männer bei Ihnen ein?

Müller: Es ist im Allgemeinen so, dass Frauen mehr lesen. Da unterscheidet sich die erotische Literatur nicht von anderer.

sueddeutsche.de: Haben Sie den Standort bewusst hier gewählt, weil das Glockenbachviertel als sehr offen und bunt gilt?

Müller: Meiner Meinung nach lebt im Glockenbach die Bohème von München und deswegen wollte ich hierher. Es ist ein aufgeschlossenes Viertel, die Menschen sind neugierig. Außerdem haben die Räumlichkeiten gepasst: Ich wollte einen offenen und hellen Laden.

sueddeutsche.de: Wenn die Kunden den Weg in Ihren Laden gefunden haben - wie läuft ein Gespräch mit Ihnen ab? Sind Sie sehr offen oder doch eher schüchtern?

Müller: Das kommt vor allem darauf an, was sie suchen. Wenn die Kunden einen Roman wollen, ist es oft so, dass sie mir kurz schildern, was sie suchen, zum Beispiel ein Geschenk für ihren Partner. Im Gespräch merkt man schon, was der Kunde sucht und dann kann ich weiterhelfen. Bei Fachbüchern oder Ratgebern tun sich viele Leute schwer damit, das auszudrücken, was sie suchen. Manchmal kennen die Kunden die Begriffe nicht, wie zum Beispiel "Bondage" für erotisches Fesseln. Durch die Atmosphäre hier im Laden erlebe ich es immer wieder, dass die Kunden sich sehr schnell öffnen. Sie merken, dass sie hier keine Angst haben müssen, bewertet zu werden.

Sinn und Sinnlichkeit, Auenstraße 2, 80469 München, Telefon 23 54 11 90, www.sinnundsinnlichkeit.com

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