Wissenschaftlich dokumentiert:Auf den Spuren des Apfelpfarrers

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Legende und Wahrheit: Peter J. Brenner, der Direktor des Archivs der TU München, arbeitet an einem Buch über Korbinian Aigner. Das Werk soll zu dessen 50. Todesjahr erscheinen

Von Regina Bluhme, Hohenpolding

Das Leben von Korbinian Aigner liest sich wie ein Roman. Der Sohn des Großbauern von Hohenpolding wird Priester, forscht im Obstbau, ist ein talentierter Maler. Wegen seiner Kritik an den Nazis kommt er 1941 ins Konzentrationslager Dachau, wo es ihm gelingt, Apfelbäume zu züchten. 1945 kehrt er an seine alte Pfarrstelle zurück, als sei nichts geschehen. Für Peter J. Brenner sind da noch ein paar Fragen offen. Der Direktor des Archivs der Technischen Universität München (TUM) arbeitet gerade an einem Buch über Korbinian Aigner. Darin will er Aigners Leben wissenschaftlich dokumentieren. Das Werk soll im kommenden Jahr zum 50. Todesjahr des "Apfelpfarrers" im Rahmen einer großen Aigner-Ausstellung erscheinen.

Wie hat er das eigentlich damals geschafft - Apfelbäume setzen, im KZ, unter ständiger Todesangst, körperlich schwerster Arbeit und strenger Bewachung? Wie ist ihm Ende April 1945 die Flucht aus dem Todesmarsch gelungen, über welche Kanäle gelangte er ins Versteck bei den Ordensschwestern in Starnberg? Und wie war das, als er dann an seine alte Pfarrstelle zurückkehrte, "war sie überhaupt noch frei, gab es irgendwelche kirchenrechtliche Dinge zu klären?" Solche Fragen gehen Brenner bei seiner Recherche durch den Kopf. Gerade beim Thema Konzentrationslager hätten sich "mittlerweile Legenden gebildet", berichtet er. Brenner will nun erstmals unter kultur- und politikwissenschaftlichen Aspekten das Leben von Korbinian Aigner untersuchen und dokumentieren.

Der Korbiniansapfelbaum vor dem Gebäude des Korbinian-Aigner-Gymnasiums in Erding verweist auf den bekannten Namensgeber. (Foto: Bauersachs)

Antworten könne er leider noch nicht liefern, erklärt der Wissenschaftler. Noch steht er ganz am Anfang seiner Arbeit. Etwa 120 Seiten werden es aber schon werden, schätzt der Direktor des TUM-Archivs, in dem Aigners berühmte Apfelbilder aufbewahrt werden. Das Buch soll im kommenden Jahr zugleich als Katalog einer umfangreichen Korbinian-Aigner-Ausstellung dienen, fügt Brenner hinzu. Auch die Ausstellung wird vom TUM-Archiv konzipiert. Der Termin steht bereits fest: Sie soll vom 1. September bis 5. Oktober stattfinden. Der 5. Oktober ist der Todestag von Korbinian Aigner. An diesem Datum ist er 1966 mit 81 Jahren gestorben. Die Veranstaltung werde von wissenschaftlichen Vorträgen umrahmt, fügt Brenner hinzu. Geplant sei zum Beispiel ein Referat über die neuesten Forschungsergebnisse in der Apfelzucht.

Natürlich werde zum 50. Todesjahr auch die Arbeit des Apfelforschers Korbinian Aigner gewürdigt, betont Brenner. Die im KZ gezüchteten Apfelsorten haben überlebt, eine der insgesamt vier Sorten wurde später zum "Korbiniansapfel". Bereits 1908 hatte Aigner in Hohenpolding einen Obstbauverein gegründet, er gab Kurse über Pflanzenzucht und Baumpflege, war 1930 Vorsitzender des Obst- und Gartenbauvereins Oberbayern. Von 1945 bis 1950 war er sogar Vorsitzender Bayerischen Landesverbands für Obst- und Gartenbau. Wie Brenner berichtet, habe sich dort so mancher "politische Graben" aufgetan zwischen "Industrie oder Liebhaberei", sprich "mit Gift oder ohne Gift gegen Schädlinge". Pfarrer Aigner habe dabei gegen die chemische Keule gekämpft.

Im KZ Dachau züchtete Korbinian Aigner auf einem winzigen Grünstreifen Äpfel. Seine Sorte KZ 3 heißt heute Korbiniansapfel. (Foto: TU München/OH)

Und dann ist da auch noch die umfangreiche Aquarellsammlung. Korbinian Aigner hat im Laufe seines Lebens Hunderte von Apfel- und Birnensorten gemalt - viele ganz alte Sorten so detailgetreu, dass sie heute Studenten vom Lehrstuhl für Obstbau als Studiervorlage dienen. Einige Bilder will Brenner auch für sein Buch verwenden. Aigner hat die Bilder per Testament dem Lehrstuhl für Obstbau an der Technischen Universität München vermacht. Ironie des Schicksals: "Der damalige Lehrstuhlinhaber war ein absoluter Verfechter der chemischen Schädlingsbekämpfung", berichtet Brenner. Das Testament Aigners liegt dem Archiv vor und soll im Buch abgedruckt werden.

Interessant ist auch, was die Technische Universität nach 1966 mit den geerbten Apfel- und Birnenbildern unternommen hat: "Sie schlummerten über Jahre im Keller", sagt Peter J. Brenner. Erst 1997 beim Aufbau des Archivs seien sie wieder ans Tageslicht gekommen. "Im Jahr 2000 wurden die Aquarelle im Alten Rathaus in München ausgestellt", berichtet Brenner. Dann waren sie 2013 bei der Internationalen Kunstausstellung "documenta" in Kassel zu sehen und "seitdem sind die Bilder weltberühmt", betont der Archivdirektor. Die Anfragen für Ausstellungen reichten von Paris bis Warschau, auch Reproduktionen seien sehr gefragt. "Doch wir sind da sehr zurückhaltend", sagt Brenner. Schließlich sollten die Bilder auf keinen Fall "verkitscht" präsentiert werden. "Das wollen wir nicht, schon gar nicht, wenn man an Aigners Vergangenheit denkt".

© SZ vom 02.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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