Überseefreundschaft:Shutdown in West Chicago

Lesezeit: 3 min

Die Partnerstadt von Taufkirchen grenzt an den Hotspot der Metropole. Der Alltag hat sich auch dort verändert, der geplante Besuch ist fraglich

Von Thomas Daller, Taufkirchen

Die Corona-Krise verschärft sich in den USA rasant. Es werden Rekordzahlen von Todesfällen gemeldet. Neben New York City, dem US-weiten Hotspot der Pandemie, richtet sich der Blick in den USA inzwischen auf weitere Regionen mit besonders hohen Fallzahlen. Dazu zählen die Ballungsräume Detroit, Chicago, Seattle, San Francisco, Los Angeles, Miami und New Orleans. Die Taufkirchener Partnerstadt West Chicago gehört zwar nicht zur Stadt Chicago, ist aber Bestandteil der Metropolregion und von der City nur etwa 40 Kilometer entfernt. West Chicago liegt im County DuPage, wobei Countys unseren Landkreisen vergleichbar sind. Am Mittwoch meldete die Lokalzeitung Daily Herald 356 Infizierte im County und zehn Tote. Im ganzen Bundesstaat Illinois gilt die Ausgangsbeschränkung "stay-at-home-order" vorläufig bis zum 30. April.

Taufkirchen und West Chicago sind seit 1999 Partnerstädte. Trotz der großen Distanz ist diese Partnerschaft sehr lebendig. Man besucht sich alljährlich. Heuer war ein Besuch der Taufkirchener in West Chicago geplant. Er sollte im September stattfinden und etwa zehn Tage dauern. Der rote Faden des Besuchs sollte dieses Mal die Besichtigung von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten sein. Nun sind die Rettungsdienste anderweitig beschäftigt. Ob der geplante Besuch heuer trotzdem stattfinden kann, bezweifelt Bodo Gsedl. Der Taufkirchener Künstler hat einen Bruder, Uwe, der mit Familie in West Chicago lebt und mit dem er nahezu täglich Kontakt übers Internet hat.

Die Zahl der Infizierten in den USA lag am Mittwoch nach Angaben der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore bei knapp 190 000, die Gesamtzahl der erfassten Corona-Toten in den Vereinigten Staaten betrug 4081. Im Bundesstaat Illinois hat Gouverneur Jay Bob Pritzker bereits am 20. März die "stay at home"-Verfügung erlassen. Anfangs wurde er dafür noch kritisiert, aber mittlerweile hat die Mehrzahl der Bundesstaaten vergleichbare Regeln. Illinois hatte am Donnerstag 6980 Fälle von Covid-19-Infizierten und 146 Tote. Drei Viertel der Fälle konzentrieren sich auf Chicago und Cook County. Betroffen sind auch relativ viele jüngere Menschen im Alter von 20, 30 und 40 Jahren, wie der Daily Herald schreibt.

Die Taufkirchener Partnerstadt West Chicago hat mehr als 27 000 Einwohner, den DuPage-Flughafen, Logistikfirmen sowie große Firmen im Bereich Lebensmittelherstellung, Gartenbauversand und Chemieprodukte für die Bauwirtschaft. Die Stadt ist prosperierend, dennoch leben 10,9 Prozent der Einwohner unter der Armutsgrenze. 6,2 Prozent sind älter als 65 Jahre und gehören der Covid-19-Hochrisikogruppe an.

Die Schulen sind seit 17. März geschlossen, alle Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren erhalten täglich Lunch-Pakete, die in der großen Highschool-Küche zubereitet und mit Schulbussen ausgefahren werden, sagt Bodo Gsedl. Auch die Universitäten sind geschlossen, wie auch bei uns befinden sich die Familien gemeinsam zu Hause. "Toilettenpapier ist aus, aber Waffen werden gehortet." Die wenigsten hätten zwar große Waffen im Schrank, aber man wolle für Ausnahmesituationen vorbereitet sein. "Mein Bruder geht nur noch selten vor die Tür", sagt Gsedl. Nur für Einkäufe oder wenn man sich auf der porch treffe, der großen Veranda vor dem Haus. So eine Veranda hätten viele Einwohner in Illinois im Eingangsbereich. Sie seien nun der beliebteste Treffpunkt der Nachbarschaft geworden, weil man dort auch Abstand halten könne. Derzeit würden sich dort viele Gespräche um Präsident Donald Trump drehen. West Chicago sei zwar eine wohlhabende Vorstadt, viele hätten einen Pool und einen Porsche und hätten Trump gewählt. Auch Bürgermeister Michael Kwasmann sei Republikaner. Aber Trumps Missmanagement in der Krise sei nun ein Dauerthema.

Es trifft jedoch nicht nur die Porsche-Besitzer. Die Arbeitslosenrate geht nach Angaben der Lokalzeit gerade durch die Decke, Illinois hat ein Verbot erlassen, dass Arbeitslose, die ihre Miete nicht mehr zahlen können, nicht auf die Straße gesetzt werden dürfen. Auch Strom oder Wasser dürfen in einem solchen Fall nicht abgestellt werden.

Aber die Bürger in West Chicago lassen sich nicht unterkriegen, wie ein weiterer Artikel im Lokalblatt zeigt: Der Fitnesstrainer Bailey Zydek lädt seit den Ausgangsbeschränkungen in der Straße Acorn Lane Drive täglich die Nachbarschaft per Lautsprecher zur gemeinsamen Gymnastik ein - und alle machen mit. In jeder Einfahrt stehen sie, haben Abstand, aber Sichtkontakt, und turnen nach, was Zydek vormacht. West Chicago geht derzeit noch fit durch die Krise.

© SZ vom 03.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: