Talentiade 2019:Gewinn für alle

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An der St. Nikolaus-Schule werden Kinder mit geistiger oder mehrfacher Behinderung unterrichtet. Bei sportlichen Wettkämpfen sind die Schüler äußerst erfolgreich. Bei Skikursen sind Lehrer vom Skiclub Erding mit an Bord

Von Regina Bluhme, Erding

Kurz vor der Pause wird es verdammt eng im Rektorat. Georg Bauer, der Leiter der St. Nikolaus-Schule in Erding, will ein paar seiner bundesweit und international erfolgreichen Sportler vorstellen, und dann stehen da doch zehn Schüler in der Tür. Es hätten leicht noch mehr sein können. Die geistig oder mehrfach behinderten Kinder und Jugendlichen, die hier unterrichtet werden, bringen regelmäßig Gold-, Silber- und Bronzemedaillen bei Winter- und Sommerwettbewerben von Special Olympics nach Hause. Die Skifahrer haben ganz besondere Coaches: Sie werden seit über 20 Jahren vom Skiclub Erding mitbetreut, also schon lange, bevor das Wort Inklusion Politik und Gesellschaft erreicht hat. Die SZ Erding präsentiert die St. Nikolaus-Schule für den mit 1500 Euro dotierten Schulsportpreis "Klasse!", der im Rahmen der SZ-Talentiade heuer erstmals vergeben wird und sich gezielt an Schulfamilien mit besonders engagierte Lehrern und Sportlern richtet.

"Wir brauchen noch ein paar Stühle", stellt Georg Bauer fest, als ein Schüler nach dem anderen, vom der Grundschul- bis zur Berufsschulstufe, hereinkommt. Dann sitzen endlich alle um den Tisch, Schüler, Rektor und die beiden Lehrer Franz Hempl und Alexander Loipführer. Der 18-jährige Florian macht Platz für einen Mitschüler, "mir macht Stehen nichts aus", sagt er und lacht. Er ist einer der erfolgreichen Sportler der Schule, hat heuer im Januar bei den bayerischen Winterspielen der Special Olympics in Reit im Winkl unter anderem die Goldmedaille im Riesenslalom gewonnen.

Training muss sein: Vorne im Bild ist gerade Fabian am Skaterplatz in Altenerding am Start. Lehrer Alexander Loipführer (hinten im roten T-Shirt) schaut ganz genau hin. Die Schüler der St. Nikolaus-Schule in Erding stehen bei Wettbewerben regelmäßig auf dem Siegertreppchen. (Foto: Renate Schmidt)

In der Runde sitzen weitere Sieger, wie Leon oder Sabrina, die Gold im Super-G gewonnen haben. Auch bei den Sommerspielen in Kiel 2018 erreichten die Teilnehmer aus Erding erste Plätze beim Dreiradfahren und Rollerskaten. Oder beim Radfahren, wo zum Beispiel Sabrina beim 1000 und 2000 Meter Fahren Gold holte. Emilia wiederum war bei den Special Olympics landesweit die Schnellste im 50 und 100 Meter. "Du bist allen davon geschwommen, gell", sagt Alexander Loipführer. Emilia nickt und strahlt.

Seit circa 15 Jahren ist die St- Nikolaus-Schule bei den Special Olympics, der weltweit größten, vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) offiziell anerkannten Sportbewegung für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung. "Die Erfolge sind schon erstaunlich", sagt Rektor Georg Bauer nicht ohne Stolz. Erdinger Schüler waren bei Wettkämpfen in Japan, den USA, in Südkorea und Liechtenstein. Alexander Loipführer beeindruckt immer wieder, "wie hier der olympische Gedanke gelebt wird, nicht der Leistungsgedanke, sondern das Miteinander zählt". Jeder gebe sein Bestes, jeder erhalte auch eine Chance, denn die Wettbewerbe unterscheiden nach Anfänger-, mittleres oder gutes Niveau. Kommunikation sei auch kein Problem, erklärt Georg Bauer, "ich bin immer wieder erstaunt, wie gut sich die Schüler über alle Sprachgrenzen hinweg verstehen". Natürlich gibt es bei den Special Olympics auch eine feierliche Eröffnungs- und eine Abschlusszeremonie. "Da wird schon getanzt, bevor die Musik losgeht", weiß Loipführer.

Rektor Georg Bauer ist stolz auf seine sportlichen Schüler. (Foto: Renate Schmidt)

Es wird nicht viele Schulen für geistig behinderte Menschen geben, die mit dem örtlichen Skiclub eine Kooperation besitzen. In Erding klappt das schon sehr lange. Angefangen hat alles mit Maria Kaiser, die damals ein Berufspraktikum an der St. Nikolaus-Schule absolviert hat. Über ihre im Skiclub Erding engagierten Brüder Anderl und Martin Walter organisierte sie den ersten Kontakt für die Betreuung eines Skikurses. Seither sind bei der Schulskiwoche im Dezember neben dem Schulpersonal auch immer zwei bis drei Lehrer vom Skiclub Erding dabei.

"Am Anfang war ich schon ein wenig unsicher, wie ich mich den Kindern gegenüber verhalten soll", sagt Martin Walter, 2. Vorstand und Jugendleiter beim Skiclub. "Aber man muss sich einfach trauen." Noch dazu seien auch immer Lehrer von der Schule mit dabei, die die Schüler und ihre Handikaps genau kennen. Im Grund jedoch gebe es im Umgang kaum einen Unterschied zu anderen Kindern, außer vielleicht die Tatsache, dass die St- Nikolaus-Schüler keine Angst kennen. "Die stellen sich auf die Bretter und sagen: Fahren wir los!" Außerdem gehe er etwas spielerischer vor, spare sich langwierige Erklärungen. Tatsächlich schafften es auch die meisten, nach zwei bis drei Kurstagen, den Anfängerhang hinunter zu fahren, so Walter. Und wer es nicht schaffe, der habe wenigsten eine Woche Bewegung an der frischen Luft absolviert. Und Selbstbewusstsein getankt, das stellt Rektor Georg Bauer immer wieder fest.

(Foto: Logo Talentiade)

Alexander Loipführer, der mit Franz Hempl, die Schul-Skikurse organisiert, ist zuweilen überrascht, welche Talente in Schülern schlummern. Er erinnert sich gut an einen Jugendlichen, der aufgrund einer Spastik nur schlecht gehen konnte, "aber der ist allen davongefahren".

Mittlerweile sind einige ehemalige St- Nikolaus-Schüler Mitglied im Skiclub Erding und nehmen mit Betreuern an Tagestouren und Skikursen des Vereins teil. Bei den Special Olympics startet sogar ein Teil für die Nikolaus-Schule und ein Teil für den Skiclub Erding. Außerdem findet regelmäßig ein gemeinsames Hallentraining statt. Martin Walter ist überzeugt, dass diese Kooperation auch mit vielen anderen Erdinger Sportvereinen möglich wäre und sicher auch gut klappen würde.

2023 finden die internationalen Spiele in Berlin statt, "da wollen wir auf jeden Fall dabei sein", sagt Alexander Loipführer. "Ja klar!", schallt es aus der Runde zurück, lautes Lachen und Klatschen erfüllt das Rektorat, und Carolin ruft: "Ich gebe niemals auf!"

Mit der Talentiade 2019 prämiert die Süddeutsche Zeitung zum zehnten Mal die Leistung von Sporttalenten (bis Jahrgang 2000) aus München und der Region sowie die Nachwuchsarbeit ihrer Vereine. Wir suchen deshalb junge Sportlerinnen und Sportler, die in den letzten beiden Jahren - unabhängig von Sportart oder Titeln - sportliches Engagement gezeigt haben. Vergeben werden unter anderem neun Förderpreise à 1500 Euro. Bewerbungen und Vorschläge bis 18. Juni unter sz.de/talentiade2019.

© SZ vom 08.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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