Stammesführer und Schamane:Wanderer zwischen Orient und Okzident

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Galsan Tschinag gilt als Wanderer zwischen Morgen- und Abendland - und ist immer ein Besuchermagnet. (Foto: Privat)

Der mongolische Autor Galsan Tschinag ist Gast der ersten Herbstlesung in Dorfen

Von Nadine Kellner, Dorfen

Aufgewachsen ist er in den Weiten der Mongolei in einem Jurtezelt, heute ist er ein international renommierter Schriftsteller: Die Rede ist von Galsan Tschinag, dem mongolischen Literaten, Stammesführer und Schamanen. Er ist am Freitag, 10. November, Gast der "Herbstautorenlesung der Landkreisbibliothek (LBK). Seit 1986 finden die Veranstaltungen im Anne-Frank-Gymnasium Erding statt. Die 31. Lesung jedoch wird im Gymnasium Dorfen veranstaltet, auch aus Platzgründen - denn der diesjährige Autor vervierfachte die Zuschauerzahl schon bei seiner ersten Lesung in Erding vor 20 Jahren.

Er ist 74 Jahre alt, ein Drittel jedes Jahres verbringt er im Altai-Gebirge bei seinem Stamm, den Tuwa, dann in der 2000 Kilometer entfernten Hauptstadt der Mongolei und den Rest der Zeit ist er auf Lesereisen. Galsan Tschinag gilt als Kosmopolit, als "Wanderer zwischen den Welten." Sein Lebenziel war, eine Brücke zu sein zwischen Morgen- und Abendland, Deutschland und der Mongolei, westlicher Moderne und tuwinischem Nomadentum.

In Dorfen wird Tschinag aus seinen aktuellen zwei Romanen "Gold und Staub" und "Der Mann, die Frau, das Schaf, das Kind" sowie einer Sammlung von Gesprächen über das Leben, die Mongolei und den Kosmos lesen. Davon kann man zumindest ausgehen. "Bei Herrn Tschinag weiß man nie ganz sicher, was er bringt", sagt seine Managerin Wilma Brüggemann, Vorsitzende des Fördervereins Mongolei. Garantiert sei, dass seine Heimat das Thema ist, meist "die wirkliche Mongolei"; das weite Land außerhalb der Hauptstadt, welches fünf Mal so groß wie Deutschland ist, doch nur 1,5 Millionen Einwohner zählt.

Dort wuchs Tschinag auf. In einer Jurte, einem runden Filzzelt, im Altai-Gebirge, umgeben von schneebedeckten Bergen, Blumenwiesen und weiter Steppe, von Schafen, Ziegen, Yaks, Pferden und Kamelen, mit Milanen, Möwen und Wildgänsen am Himmel. Zur Schule ging er an ein Normadeninternat, schrieb dort bereits Gedichte und wurde zum Literaturstudium in die Hauptstadt geschickt, dann zum Germanistikstudium nach Leipzig. Er schloss es als Jahrgangsbester ab. Zurück in der Mongolei wurde er Dozent, doch aufgrund seiner Systemkritik suspendiert. Folglich begann er auf Deutsch zu schreiben, damit das Regime nichts mehr in seine Texte hinein- und aus ihnen herauslesen konnte. Auch heute noch schreibt er auf Deutsch - trotz der Wende in der Mongolei.

Für sein Schreiben erhielt er bereits renommierte Preise, für seine Mühen um die Verständigung zwischen den Kulturen das Bundesverdienstkreuz. Doch Tschinag, das Oberhaupt der Tuwa, sieht sich hauptsächlich als Ernährer seines Volkes. Deshalb gründete er die Galsan Tschinag Stiftung. Auch über deren aktuelles Projekt wird er in Dorfen sprechen: Er will seine Heimat, die westmongolische Steppe, wieder aufforsten. Tschinags Ziel sind eine Millionen Bäume. 700 000 sind schon gepflanzt. "Tuwa-Nomaden würden nie die Natur verunreinigen oder einen lebenden Baum fällen", erklärt Brüggemann. Die Verehrung und Dankbarkeit der Tuwiner gegenüber der Natur sei ihre Spiritualität, das Schamanentum. Und das neuste Projekt zeigt: Galsan Tschinag denkt ganz getreu seinen Wurzeln.

"Tschinag nimmt das Publikum mit", sagt Olaf Eberhard, Leiter der Landkreisbibliothek. Er sei nicht nur Vorlesender, sondern Erzähler des Abends, würde in all seinen Funktionen auftreten: als Autor, als Heiler, als Botschafter und Wahrer der Kultur seines Volkes. Tschinag habe man nicht in die Jubiläumslesung des Vorjahres unterbringen können, sagt Eberhard. Er sei ein Abend für sich. Ein Gesamtkunstwerk. Und doch sei er stets den Menschen nah. So würde selbst das Signieren ein eigener Programmpunkt, sagt Eberhard, da der Autor sich für jeden Einzelnen Zeit nehme.

Tschinags Auftritt 1997 markierte den Wendepunkt der Herbstlesungen der LKB: Bis dahin waren stets zwischen 50 und 60 Zuhörer anwesend - bei ihm jedoch kamen 200 und seitdem blieben die Zahlen konstant doppelt bis dreimal so hoch wie in den ersten zehn Jahren der Lesungen. Tschinag las schon in Kolumbien, Kanada, den Vereinigten Staaten und Australien, doch dem Weltbürger habe die Lesung 1997 im Anne-Frank-Gymnasium so sehr gefallen, dass er sofort zusagte, als Eberhard im Januar bei ihm anfragte.

Diesmal findet die Herbstlesung auch deshalb in Dorfen statt, weil die Landkreisbibliothek auch an anderen Orten auftreten möchte, um der ganzen Öffentlichkeit zur Verfügung zu stehen. Schüler beider Gymnasien werden die Lesung musikalisch begleiten. Bei freiem Eintritt und Verpflegung durch die Catering-AG des Gymnasiums Dorfen findet die Lesung am Freitag, 10. November, von 19.30 Uhr an in der Aula statt.

© SZ vom 09.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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