SPD Dorfen:Keine Ausreden

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Der 63-jährige Ewald Schurer ist seit 1998 - mit drei Jahren Unterbrechung - Bundestagsabgeordneter. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Ewald Schurer macht nach seiner Abwahl als oberbayerischer SPD-Bezirkschef scheinbar unverdrossen weiter

Von Florian Tempel, Dorfen

Am Tag, nach dem Ewald Schurer als Vorsitzender der oberbayerischen SPD abgewählt worden ist, sitzt er abends in Dorfen im Gasthaus am Markt. Falls es ihm etwas ausmachen sollte, nach 14 Jahren nicht mehr SPD-Bezirkschef zu sein, verbirgt er das vollkommen. Er scheint völlig unverändert und ist, wie auch sonst fast immer, sehr gut gelaunt. Das Essen schmeckt ihm, er erinnert sich, wann er das erste Mal in diesem Lokal war, er schaut vergnügt in die Runde.

Um 19 Uhr begrüßt die Ortsvorsitzende Simone Jell die Runde und freut sich, "dass eine ganze Reihe von Leuten da sind". Es sind ungefähr 20 Männer und Frauen gekommen. Bei der letzten offenen Diskussionsrunde im Januar waren es deutlich mehr. Doch da war es noch eine Neuigkeit, dass Martin Schulz Bundeskanzler werden will. Die Versammelten redeten damals intensiv darüber, was die Sozialdemokraten in den Vergangenheit alles falsch gemacht haben und was man ändern müsste, damit wieder mehr Menschen die SPD wählen.

An diesem Wochenende im Mai hat die SPD in Schleswig-Holstein die Landtagswahl verloren und Martin Schulz versuchte, zuversichtlich in die TV-Kameras zu gucken. Doch das alles ist weit weg. "Wir in Dorfen versuchen uns zu aktivieren", sagt Stadtrat Heiner Müller-Ermann: "Politik ist, wenn wir diskutieren, wie wollen wir in Zukunft leben?" Und im nächsten Schritt müsse man dann Mehrheiten zusammen bekommen, um die Diskussionsergebnisse umzusetzen. "Unser Bundestagsabgeordneter Ewald Schurer", sagt Müller-Ermann, sei ein "altgedienter Parlamentarier", der wisse, was geht und wie es geht. Und dann er ermahnt er ihn, erst mal höchstens eine Viertelstunde zu sprechen. Damit jeder zu Wort kommen kann. Das für diesen Montagabend gewählte Thema ist maximal komplex. Es heißt: "Gerechtigkeit - Was müssen wir ändern?"

Schurer spricht über soziale Gerechtigkeit: dass die Einkommensverteilung nicht fair sei, 40 Prozent der Arbeitnehmer real weniger verdienten als 1990, "die Reichen reicher und die Armen ärmer" geworden seien und dass Hartz IV ein Fehler sei, den die SPD zu verantworten habe. Immerhin habe man nach "20 Jahren Kampf" endlich einen Mindestlohn in Deutschland eingeführt. Das nächste Projekt müsse nun die "Lebensleistungsrente" sein, so wie sie der DGB fordere, eine würdige Mindestrente von etwa 1000 Euro. So wie überhaupt die "lange neoliberale Phase" endlich zu Ende sein müsse. Der Staat müsse "kostenlose Bildung von der Kita ab" finanzieren. Und am dringendsten sei es, die Armut von Kindern beenden werde, denn das sei "noch schlimmer als alles andere".

In der anschließenden Diskussion werden aus der Runde noch viele Gerechtigkeitsthemen zur Sprache gebracht: Dass die Steuern vor allem von Arbeitnehmern getragen werden; die schlechte Bezahlung sozialer Berufe; dass Leiharbeit eine einzige Frechheit sei; wie Privatisierungen und Deregulierungen zu mieseren Versorgung und ungleichen Lebensbedingungen geführt hätten. Schurer sieht vieles genau so, manches anders. Er gibt ein Bekenntnis zur Marktwirtschaft ab, aber es brauche auch nicht zu knapp "Ordnungspolitik", um die Kräfte des Marktes in sozialen und ökologische Bahnen zu lenken. Und eines habe er sich für immer fest vorgenommen: "Ich lasse billige Ausreden für schlechte Politik nicht gelten."

Erst ganz zum Schluss wird er melancholisch. Er müsste wohl selbst besser sein, als Politiker und Redner, um mehr Menschen zu überzeugen und dann mehr durchsetzen zu können.

© SZ vom 10.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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