So was gibt es nur im Landkreis Erding:Der einzigartige Pflegekrisendienst

Lesezeit: 3 min

Am kommenden Montag startet das im Landkreis Erding erfundene und deutschlandweit einzigartige Angebot. Ein kleines Team beim Roten Kreuz wird sich um Pflegenotfälle kümmern. Das hört sich gut an, doch es gibt auch deutliche Kritik

Von Florian Tempel, Erding

Der Name klingt schon irgendwie überzeugend: Pflegekrisendienst. Das hat was. Auch wenn kaum einer genau weiß, um was es geht. Offenbar soll Alten und Kranken in Not geholfen werden. Wer wäre nicht dafür? Fachleute können mit dem Begriff hingegen nichts anfangen, denn es gibt bislang nirgendwo einen Pflegekrisendienst. Er ist im Landkreis Erding von Kommunalpolitikern erfunden worden. Der Landkreis - um korrekt zu sein, etwa ein Drittel des Landkreises - hat von nächster Woche an den ersten Pflegekrisendienst Deutschlands. Man könnte sagen, es ist ein Pilotprojekt. Das hört sich auch immer super an.

Der neuartige Dienst wird vom Kreisverband des Bayerischen Roten Kreuz (BRK) übernommen. Am Montag gibt es eine Pressekonferenz. "Wir bieten eine Art Notversorgung an, welche aber einer pflegerischen Grundversorgung in nichts nachsteht", wird Gisela van der Heijden, die BRK-Kreisgeschäftsführerin, schon mal vorab in einer Pressemitteilung des Landratsamts zitiert. Die Eckdaten sind: Der Pflegekrisendienst ist täglich von 12 bis 20 Uhr erreichbar. Er hat mehrere Mitarbeiterinnen, die zusammengerechnet 1,22 Vollzeitstellen ausfüllen. In Anspruch nehmen dürfen ihn Bürger aus Berglern, Bockhorn, Buch, Fraunberg, Hohenpolding, Inning, Kirchberg, Langenpreising, Moosinning, Oberding, Ottenhofen, Steinkirchen, Taufkirchen, Sankt Wolfgang und Wörth. Alle anderen Landkreiskommunen machen nicht mit. Erding braucht ihn nicht, hat OB Max Gotz gesagt, in Dorfen wurde er gar nicht erst diskutiert. Isen sieht keinen Bedarf, und in Wartenberg fand man die Finanzierung nicht richtig.

Los ging es vor zwei Jahren, als Landrat Martin Bayerstorfer (CSU) im Kreisausschuss des Kreistags den Pflegekrisendienst als Antrag der CSU präsentiert. Das dazu erzählte Notfall-Beispiel geht so: Ein älterer Mann wird nach einer Operation aus der Klinik entlassen. Er war nur wenige Tage im Krankenhaus und ist noch nicht ganz fit. Eine Reha beginnt erst in einer halben Woche. Es ist Wochenende und auf die Schnelle findet sich kein ambulanter Pflegedienst, der Verbandwechseln und Ähnliches bei ihm zu Hause übernehmen würde. Eine Mitarbeiterin des Pflegekrisendienstes springt ein und kümmert sich die paar Tage um den Betroffenen.

So einen Fall dürfte es freilich gar nicht geben. "Dass der erst Tage später auf Reha geht, ist ein No-Go", sagte eine Fachfrau, die in einem Sozialdienst einer kommunalen Klinik außerhalb des Landkreises Erding arbeitet. Ein Krankenhaus darf einen Patienten, der häusliche Pflege benötigt, nicht entlassen, ohne dass das geregelt wäre. Dafür gibt es den Klinik-Sozialdienst. Der muss alles organisieren, was notwendig ist, und die Krankenkassen müssen das bezahlen. Gesetzlich festgelegt ist das im Rahmenvertrag Entlassmanagement.

Das ist auch der Punkt, an dem Susanne Gerster, Allgemeinärztin und Gemeinderätin in Pastetten, mit ihrer Kritik ansetzt. Zum einen glaubt sie nicht, dass es wirklich eine so große Zahl unorganisierter Entlassungen aus dem Krankenhaus gibt, dass ein mit mehreren Pflegekräften ausgestatteter Pflegekrisendienst notwendig wäre. Sie kennt die Sozialdienste der lokalen Krankenhäuser als zuverlässige Abteilungen. Falls es dort Probleme gebe, sollte Landrat Bayerstorfer darauf Einfluss nehmen. Gerster findet zudem, dass schon ein dichtes Netz für die Versorgung nach einem Klinikaufenthalt geknüpft sei, in dem Sozialdienst, Hausarzt, Pflegedienst, Nachbarschaftshilfe, Palliativteam und Kurzzeitpflege gut miteinander kooperierten. Wenn es Bedarf an Verbesserungen gebe, sollte das innerhalb der bestehenden Strukturen passieren. "Wir können nicht immer mehr und noch mehr Institutionen aufmachen." Gerster hat damit die große Mehrheit im Pastettener Gemeinderat überzeugt.

Die Taufkirchener Gemeinderätin Anneliese Mayer (CSU), die den Pflegekrisendienst ebenfalls kritisch sieht, gibt eines zu bedenken: Wenn es tatsächlich für den Sozialdienst eines Krankenhauses öfter unmöglich sein sollte, eine ordentliche Entlassung zu organisieren, dann wäre der Pflegekrisendienst ein allzu leicht einsetzbarer Notnagel. Es wäre letztlich kontraproduktiv, findet Mayer, wenn der Krisendienst zu einem Regelbetrieb würde. Tatsächlich stehen die Kliniken unter dem finanziellem Druck, Patienten nicht länger als in den Fallpauschalen vorgesehen bei sich zu haben. Innerhalb der festgelegten Zeit verdient man Geld, wird die Frist überschritten, zahlt eine Klinik drauf.

Tatsächlich ist aber die feste Verbindung von Pflegekrisendienst und Klinikum Erding ein anfänglicher Grundgedanke gewesen. Zunächst wurde geprüft, ob der Pflegekrisendienst nicht direkt am Klinikum Erding angebunden werden könnte. Das ging nicht, weil ein Krankenhaus keine ambulanten Pflegedienstleistungen anbieten darf.

Der Erdinger Pflegekrisendienst wird mit Steuergeld finanziert. 40 000 Euro kommen vom Landkreis, die teilnehmenden Kommunen zahlen einen Euro pro Einwohner. Dass der Pflegekrisendienst ein Konstrukt "außerhalb des gesetzlichen Systems ist", wie Siegfried Kübelsbeck sagt, Bereichsleiter Privatkunden bei der AOK Erding, klingt etwas krass. Kübelsbeck will damit aber lediglich betonen, dass die Krankenkassen nur nach dem Rahmenvertrag Entlassmanagement zahlen, nicht für eine Erdinger Spezialidee.

Dass das BRK den Auftrag für den Pflegekrisendienst erhalten hat, mag vor allem unter einem Gesichtspunkt erstaunlich erscheinen: Für den Kreisverband Erding ist ein ambulanter Pflegedienst ein ganz neues Betätigungsfeld. Der Pflegekrisendienst wurde nicht öffentlich ausgeschrieben. Das Landratsamt ließ die Anforderungen nach einer Vorauswahl nur ausgesuchten Kandidaten zu kommen. Die Erdinger Caritas, die den größten ambulanten Pflegedienst im Landkreis hat, war zum Beispiel nicht dabei.

© SZ vom 30.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: