Erding:Selbstverteidigungskurse: "Zehn bis zwölf Frauen rufen täglich bei mir an"

Lesezeit: 2 min

Nach den Übergriffen in Köln boomen Selbstverteidigungskurse für Frauen. Sie sind gut für das Selbstvertrauen, die Polizei in Erding sagt aber auch: Ein Anstieg von Gewalt ist nicht zu erkennen.

Von Regina Bluhme, Erding

"Zur Zeit flippen alle aus", sagt Dirk Melcher. Melcher leitet zahlreiche WinTaekwondo-Schulen, unter anderem in Erding und Dorfen. "Zehn bis zwölf Frauen rufen täglich bei mir an und wollen einen Kurs belegen." Das gehe so seit Silvester, als in Köln Hunderte von Frauen Opfer von sexuellen Angriffen und Raubüberfällen geworden sind.

Es ist ein Trend: Immer mehr Frauen buchen einen Selbstverteidigungskurs. Seit einiger Zeit registrieren Kampfsportschulen in Erding eine enorme Nachfrage. Dabei sind sich Polizei und Anbieter einig: Vor jeder noch so ausgefeilten Kampftechnik gilt es, ein selbstbewusstes Auftreten zu trainieren.

Begonnen, so sagt Melcher, habe die starke Nachfrage in Erding bereits im vergangenen Jahr mit der Einrichtung des Camps Shelterschleifeam Fliegerhorst. Einen Schnellkurs in Selbstverteidigung könne und wolle er aber nicht anbieten, denn um das traditionelle WinTaekwondo zu beherrschen "braucht es Jahre, Jahrzehnte der Übung und die passende Philosophie". Er befürchtet nun, dass viele Anbieter kräftig abkassieren wollen. "Mit einem Zehn-Stunden-Selbstverteidigungskurs ist es nicht getan. Das hat mit Seriosität nichts zu tun", ist Melcher überzeugt.

Warteraum Asyl in Erding
:80 000 in drei Monaten

Warteraum-Leiter Grönhagen informiert über die aktuelle Lage: Kaum jemand verweigert mehr die Registrierung, es kommen immer mehr Familien. Und er hat einen großen Wunsch an die Politik

Von Florian Tempel

Ein Trainingswochenende allein genügt nicht

Frank Ulbig betreibt mehrere Krav Maga Kampfsportstudios. Auch in Erding wird der Kampfsport, der ursprünglich aus Israel stammt, unterrichtet. In den Selbstverteidigungskursen sollten die Frauen nicht nur "die Schlaghemmung zu überwinden", ganz wichtig sei, "dass sie statt einer passiven Haltung eine aktive einnehmen". Ulbig betont auch, dass ein Trainingswochenende allein nicht genüge. "Man muss viel üben". Er rät daher allen Teilnehmern, mindestens ein halbes Jahr dabei zu bleiben.

Technik ist laut Frank Ulbig aber auch nicht alles. Grundlegend sei, "dass ich mit offenen Augen durch die Welt gehe". Das heißt für ihn: Augen auch mal weg vom Handy, Kopfhörer raus aus dem Ohr: "Nur so kann ich auch eine komplizierte Situation frühzeitig erkennen und rechtzeitig flüchten." Einen eigenen Frauenkurs wird es demnächst auch beim Kickboxverein Erding geben, in der Karateabteilung von TSV 1862 Erding ist allerdings kein eigener Frauenkurs geplant, dort gibt es laut Abteilungsleiterin Irmgard Borgs aber schon lange einen sehr hohen Frauenanteil.

Richtig gefährlich ist es zwar nicht im Landkreis Erding, Selbstverteidigung kann aber das Selbstvertrauen stärken. (Foto: oh)

Selbstbewusstsein soll man ausstrahlen, nicht als Opfertyp gelten

Dass viele Frauen verunsichert sind, das weiß auch Bodo Urban, der stellvertretende Erdinger Polizeileiter. Auch wenn im Erdinger Inspektionsbereich kein Anstieg von Gewalttaten gegen Frauen zu vermelden sei, wie er auf Nachfrage sagt, "sollte dieses subjektive Sicherheitsgefühl auf jeden Fall ernst genommen werden". Selbstverteidigungskurse sind seiner Ansicht nach " prinzipiell eine gute Sache". Zum einen lerne man doch den einen oder anderen nützlichen Abwehrgriff, zum anderen könne damit auch das Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen gestärkt werden. "Eine selbstbewusste Ausstrahlung ist wichtig, umso weniger wird man als Opfertyp eingestuft", erklärt Urban. Im Übrigen besitze jeder "das Recht der Notwehr", egal, ob man einen Angriff mit Spucken, Kratzen, Beißen, gezielten Schlägen oder mit Pfefferspray abwehrt.

Gewalt gegen Frauen ist auch im Landkreis Erding kein neues Phänomen. Angela Rupp leitet das Frauenhaus in Dorfen und sie sagt: Sexuelle Gewalt gegen Frauen oder Kinder finde noch immer "vornehmlich zu Hause statt, durch vertraute Personen in einer vertrauten Umgebung". Grundsätzlich schade es keiner Frau, "wenn sie ein paar Abwehrtechniken beherrscht", ist Rupp überzeugt. Es würde schon helfen, wenn die Frauen selbstbewusster durchs Leben gingen, "vielleicht auch, weil sie wissen: Ich könnte und darf mich wehren", so Rupp.

Die Kölner Übergriffe an Silvester, bei denen die mutmaßlichen Täter hauptsächlich Migranten waren, haben viele Frauen verunsichert. Das bekommt WinTaekwondo-Trainer Dirk Melcher jeden Tag am Telefon mit. Doch man dürfe deswegen nicht alle Flüchtlinge pauschal über einen Kamm scheren. Vor einiger Zeit habe ihn in einer seiner Kampfsportschulen in Mühldorf ein syrischer Flüchtling angesprochen, erzählt er. "Wie sich herausstellte, war der Mann in seinem Heimatland Mitglied im olympischen Taekwondo-Team." Gespannt sei er schon gewesen, wie die übrigen Kursteilnehmer auf den Neuzugang reagieren würden. "Alles lief sehr gut", berichtet Dirk Melcher. "Der Mann ist sehr kompetent und ein super Trainer".

© SZ vom 23.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Übergriffe in Köln
:Deutschland rüstet auf

Die Übergriffe von Köln wirken nach: Bürgerwehren formieren sich, Pfefferspray ist ein Verkaufsschlager - aber keine Lösung des Problems.

Von Felicitas Kock

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: