Prozess in Erding:Auf offener Straße ist nichts privat

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"Die blöde Sau" - mehrmals hat der Angeklagte das auf offener Straße gerufen. Der Rechtsbeistand sieht "keine Straftat", der Richter ist da anderer Meinung.

F. Tempel

Beleidigungsprozesse können kompliziert sein. Der Fall gegen einen 54-jährigen Isener, der nach einem Streit seinen Nachbarn - oder seine Nachbarin - an Neujahr auf offener Straße als "blöde Sau" beschimpfte, war es nicht.

Denn es gab eine neutrale Zeugin. Eine Anwohnerin hatte die unschöne Beleidigungen gehört, für die es am Ende 800 Euro Geldstrafe gab. Obwohl oder weil der Fall ganz einfach war, versuchte jedoch der Rechtsbeistand des Angeklagten - kein echter Anwalt, sondern nur ein Jurist mit erstem Staatsexamen - ihn mit abstrusen Erklärungen kompliziert zu machen und seinen Mandanten vor einer Verurteilung zu bewahren.

Damit ging es schon bei der Feststellung der Personalien los. Der Rechtsbeistand beharrte darauf, dass als Staatsangehörigkeit seines Mandanten "deutsches Reich mit unmittelbarer Reichszugehörigkeit" ins Protokoll aufzunehmen sei, was immer das auch heißen sollte. Gleich darauf nervte er Richter Aksel Kramer mit zwei "Beweisanträgen", ob er überhaupt "ein gesetzlicher Richter" sei und es sich beim Amtsgericht Erding um "ein staatliches Gericht" handle. Der Richter wies die Anträge zurück, weil sie nichts mit der Sache zu tun hatten.

Als nächstes bemängelte der Rechtsbeistand, dass der gegen den Angeklagten erlassene Strafbefehl "nicht ordnungsgemäß unterschrieben" sei. Richter Kramer sah nach und sagte, "ich erkenn' doch meine Unterschrift". Nein, erwiderte der Rechtsbeistand, "da ist kein Buchstabe zu erkennen". Er werde auch gegen diesen formalen Mangel "Rechtsmittel einlegen". Als es endlich losgehen konnte, wurden der Angeklagte und sein Rechtsbeistand schmallippig und wollten gar nichts mehr sagen.

Das beleidigte Ehepaar berichtete, dass der Angeklagte und seine Lebensgefährtin am Abend des 1. Januar bei ihnen geklingelt und sie zu ihrer Überraschung beschimpft hätten. Überraschend deshalb, weil sei gedacht hätten, die Nachbarn kämen, um sich zu entschuldigen. Dafür, dass ihre Söhne in der Silvesternacht mit Raketen auf ihr Haus gezielt hätten. Tatsächlich aber beschwerten sie sich über die Verdächtigung ihrer Kinder.

Zu Beleidigungen kam es an der bald wieder geschlossenen Haustür nicht. Auf dem Rückweg über die Straße zu ihrem Haus - das berichtete eine Anwohnerin -, hätten der Angeklagte und seine Lebensgefährtin aber mehrmals "die blöde Sau" geschrien und damit zweifellos die zuvor besuchten Nachbarn gemeint.

Der Rechtsbeistand befand, er "sehe keine Straftat". Sein Mandant habe sich auf der Straße allein gewähnt und somit nur "im Privatbereich geschimpft", was jedem frei stehe. Deshalb verlange er einen Freispruch. Richter Kramer wies die Argumentation zurück. Auf offener Straße sei gar nichts privat.

© SZ vom 13.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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