Prozess dauert an:Pistole an der Schläfe

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Ein Erdinger steht wegen eines Überfalls auf einen Markt Schwabener Getränkemarkt vor Gericht. Der Kassierer hat das Geschehen noch nicht verarbeitet und befindet sich in einer Psychotherapie

Von Andreas Salch, Markt Schwaben/München

Er machte einfach weiter, aus Angst seinen Job zu verlieren. Doch dann, drei Wochen später, stieg die Angst in ihm hoch und ließ ihn nicht mehr los. Fast ein Jahr nach einem bewaffneten Raubüberfall auf einen Getränkemarkt in Markt Schwaben lebt der Kassierer, dem der Täter eine Gasdruckpistole an die Schläfe hielt, noch immer in großer Angst. Am Donnerstag traf der 41-Jährige den Täter, einen 28-jährigen Speditionsarbeiter aus Erding, wieder. Er muss sich wegen versuchter, besonders schwerer räuberischer Erpressung vor 2. Strafkammer am Landgericht München II verantworten.

Es war gegen 18 Uhr am Abend des 12. Mai vergangenen Jahres, als der Angeklagte den Getränkemarkt betrat. Er war völlig schwarz gekleidet und trug eine schwarze Sturmhaube auf dem Kopf. Bewaffnet hatte er sich mit einer Gaspistole. Im Magazin befanden sich 21 Stahlkugeln. In dem Markt waren vier Kunden. Der junge Mann lief zielstrebig auf die Kasse zu. Dort stand außer einem 41 Jahre alten Angestellten die Abteilungsleiterin. "Alles Geld raus, sofort", forderte der Täter von dem Kassierer. Seine Waffe hielt der Angeklagte zunächst noch unter seinem T-Shirt verborgen. In einer Hand hatte er einen roten Hundekotbeutel, in den der Kassierer das Geld hätte stecken sollen. Doch der weigerte sich. Er hielt das Ganze für einen "Scherz", wie er am Donnerstag bei seiner Vernehmung vor dem Landgericht München II sagte. Dann zeigte ihm der Angeklagte seine Pistole. Sie steckte in seinem Hosenbund. "Ich gebe kein Geld raus. Die ist doch nicht echt", sagte der 41-Jährige zu dem Unbekannten. Daraufhin zog dieser die Waffe und soll sie dem Kassierer an die Schläfe gedrückt haben. "Sie können sich nicht vorstellen, was es bedeutet, wenn jemanden eine Pistole an den Kopf gehalten wird. So etwas kannte ich bisher nur aus dem Kino", sagte der Kassierer zum Vorsitzenden, Richter Stefan Weickert. Dem 41-Jährigen wurde offenbar erst im Nachhinein bewusst, in welcher Gefahr er sich an jenem 12. Mai 2018 befand.

Als ihn der Täter aufgefordert hatte, das Geld herauszugeben, hatte der Kassierer ihm mit einem Handscanner die Pistole aus der Hand schlagen wollen. Als eine Glocke am Eingang des Supermarktes klingelte, glaubte der Angeklagte, es sei eine Alarmglocke und ergriff die Flucht. Der Kassierer rannte ihm hinterher und warf eine Flasche nach ihm. Doch er konnte dem 28-Jährigen nicht folgen.

Nur kurze Zeit später gingen mehrere Notrufe beim Polizeipräsidium Nord ein. Nachbarin eines nahegelegenen Wohngebiets mit Spielplätzen hatten von ihren Balkons aus den schwarz gekleideten Täter mit einer Pistole in der Hand gesehen und beobachtet, wie er durch Vorgärten rannte. Zu diesem Zeitpunkt seien noch Kinder auf den Spielplätzen gewesen, sagte ein Polizeibeamter vor Gericht. "Die Leute aus dem Wohngebiet waren sehr geschockt." Es habe eine "Riesenaufruhr" gegeben, so der Beamte. Die Waffe des 28-Jährigen habe wie eine echte ausgesehen, berichtete der Fahnder.

Der Kassierer und die Abteilungsleiterin haben das Geschehen bis heute nicht verarbeitet. Der 41-Jährige sagte, er befinde sich nach wie vor in einer Psychotherapie. Er arbeitet noch immer in dem Getränkemarkt. Doch wenn jemand mit einer Kapuze auf dem Kopf den Markt betrete, bekomme er "sofort Herzklopfen". Früher sei er ein Mensch gewesen, der keine Angst gehabt habe. Seit dem Überfall aber schon.

Der Speditionsarbeiter hat die Vorwürfe eingeräumt. Zuvor hatte das Gericht ihm zugesichert, dass es im Fall eines umfassenden Geständnisses eine Haftstrafe von nicht weniger als vier und nicht mehr als viereinhalb Jahren verhängen werde. Der Prozess dauert an.

© SZ vom 02.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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