Pfadfinder:"Wir sind hier wie eine zweite Familie"

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Der Stamm Staufen Erding ist stolz auf sein Pfadfinderheim (von links): Petra Hoehl vom Freundeskreis, Michelle Zeischka, stellvertretende Stammesführung, Niklas Ressel, 1. Stammesführer, Claudia Beauchamp, stellvertretende Vorsitzende Freundeskreis, und Monika Ressel vom Freundeskreis. (Foto: Renate Schmidt)

Gerade in Zeiten von Digitalisierung und Individualisierung wollen die Pfadfinder ein Kontrastprogramm bieten. Handys sind in Gruppenstunden tabu, dafür lernen die Kinder und Jugendlichen unter anderem, wie man Feuer macht.

Von Niklas Martin, Erding

"Ich hab' hier ausnahmsweise mal ein Handy dabei", gibt Claudia Beauchamp zu. Ein Gesprächstermin mit der Presse ist ja auch nicht alltäglich. Mit klarer Stimme erklärt die erfahrene Erdinger Pfadfinderin ihren "Wölflingen": "Wir möchten aufnehmen, warum ihr bei den Pfadfindern seid. Was euch gefällt am Pfadfindersein. Deshalb das Handy." Die Reaktionen der Jüngsten unter den Pfadfindern lassen nicht lange auf sich warten: "Weil's einfach Bock macht!", meint etwa der kleine Leon. Auch Lula schwärmt: "Ich mag einfach das Schnitzen, die Lagerfeuer, das Zelten und dass ich alles mit meinen Freunden zusammen machen kann."

"Wir wollen den Kindern die Harmonie mit der Natur lehren. Wir möchten, dass sie mit der Umwelt etwas anzufangen wissen. Raus gehen, sich bewegen und gemeinschaftlich Abendteuer erleben. Aus diesem Grund sind Handys bei uns tabu", erklärt Niklas Ressel, Stammesführer bei Pfadfinderstamm Staufen in Erding. Seit nunmehr 60 Jahren vermittelt der Pfadfinderstamm Staufen in Erding, wie Michelle Zeischka, betont, "Werte fürs Leben". Die stellvertretende Stammesleitung sieht in der Ertüchtigung junger Menschen zur Selbst- und Gruppenverantwortung den Schwerpunkt ihrer Arbeit: "Wir sind hier wie eine zweite Familie. Da gibt jeder auf den anderen Acht und verhält sich entsprechend. Kooperation wird bei uns groß geschrieben und auch ein nachhaltiger Lebensstil steht im Fokus."

Das Pfadfinderheim vom Stamm Staufen. (Foto: Renate Schmidt)
Pfadfinderromantik am Lagerfeuer: die Wölflinge des Stammes Staufen, Kinder von sechs bis zwölf Jahren mit ihren Betreuern Stanley Paul und Vincent Wright (Mitte). (Foto: Renate Schmidt)

Jeden Dienstag treffen sie sich hier am Schollbach in ihrem Pfadfinderheim, auf das sie zurecht stolz sind. Auf dem Programm stehen gemeinsames Singen, Feuer machen, Knoten lernen, Zelte aufstellen oder auch der "Messerführerschein". Mehrmals pro Jahr haben die Kinder und Jugendlichen die Möglichkeit, das Gelernte bei Aktionen, Zeltlagern oder Mehrtageswanderungen unter Beweis zu stellen. Und Beauchamp bemerkt: "Das ist wirklich schön zu sehen, wie dieselben Kinder, die im Kindergarten noch bei einem kleinen Spaziergang gejammert haben, zu uns kommen und dann im Jugendalter mit 20 Kilo Gepäck zwei Wochen lang durch Wildnis Skandinaviens marschieren."

Getreu dem Motto Ihres Gründers Robert Baden-Powell "Hinterlasse jeden Ort besser als du ihn angetroffen hast", speist sich das Selbstverständnis der Pfadfindergemeinschaft auch aus der Achtsamkeit im Umgang mit der Natur. Das versichert auch Zeischka. Durch ihre Aktivität bei den Pfadfindern habe sich ihre Lebensweise in verschiedensten Bereichen verändert. "Ich achte auf die Spuren, die ich als Individuum in der Umwelt hinterlasse. Esse kein Fleisch, schaue auf ökologisch erzeugte Lebensmittel und auch auf meine Klimabilanz."

Vor mehr als 110 Jahren begründete Baden-Powell, kurz BP, die Pfadfinderbewegung. Anfangs durch die militärische Kompetenz des Scoutings inspiriert, schuf der Offizier und Scout der britischen Armee eine Jugendbewegung, die sich heute stolz als größte der Welt betrachtet. In den nach Geschlechtern getrennten Weltpfadfinderbünden (WOSM und WAGGGS) sind 31 Millionen männliche und etwa 10 Millionen weibliche Pfadfinder Mitglied. In Deutschland sollen es etwa 230.000 sein. Nach Baden-Powells Vorbild sollen Pfadfinder ritterlich und ehrlich handeln, anderen Menschen Freund sein, Hilfsbedürftige und Schwache unterstützen und die Umwelt schützen.

Pfadfinder gibt es überall auf der Welt. Das sorgt für ein großes Netzwerk

Diese Werte faszinieren auch Maximilian Moltke, Stammesführer beim VCP Stamm Thor Heyerdahl. Insbesondere der Gemeinschaftserfahrung misst er große Bedeutung zu und er schwärmt: "Pfadfinder gibt es auf der ganzen Welt. Du kannst im Prinzip auf ein weltweites Netzwerk zurückgreifen und Gleichgesinnte, egal wo du bist, finden."

Ein gutes Beispiel hierfür ist Andrea. Die Siebenjährige ist erst vor kurzem mit ihrer Familie aus Chile nach Erding gekommen. Schon in ihrer Heimat war sie bei den Pfadfindern. Mit dem Staufener Stamm hat sie, wie sie sagt, sofort eine neue "Familie und Anschluss" gefunden.

Es gibt zwei unterschiedliche Stämme in Erding, der VCP besteht erst seit 2016

Dass es zwei verschiedene Pfadfinderstämme in Erding gibt, ist nicht ungewöhnlich . 140 verschiedene soll es allein in Deutschland geben, darunter fünf große. Die Unterschiede zwischen den Stämmen liegen vor allem in ihrer politisch, religiösen Ausrichtung. Der VCP Stamm von Maximilian Moltke beispielsweise ist der Evangelischen Kirche angegliedert und Teil ihrer Jugendarbeit. Gemeinsames Beten und christliche Glaubenspraxis sind hier aber nur ein Aspekt unter vielen. Der Bdp, der Dachverband des Stamms Staufen, dagegen hat sich der politischen, religiösen und weltanschaulichen Neutralität verpflichtet. Moltkes VCP Stamm gibt es erst seit 2016. Gemeinsam mit seiner Mutter realisierte er damals den Traum eines eigenen Stammes. Heute ist er stolz auf etwa 35 aktive Mitglieder.

Innerhalb der Stämme ist der Austausch sehr intensiv: "Ich habe bayernweit viele Freunde und auch in Österreich, Ungarn und anderen Ländern besuchen wir uns zum Teil", erzählt Moltke. Und auch Ressel berichtet von gemeinsamen Singrunden mit Stammeskollegen aus dem ganzen Landesgebiet, sowie Besuchen in Skandinavien und Osteuropa. Ob es auch Konkurrenz unter den Stämmen gibt? Darauf reagiert Ressel gelassen: "Nein, das spielt eigentlich keine Rolle." Dennoch ist er überzeugt, dass sein Stamm, gemessen an den Mitgliedern (etwa 45) der weitaus bedeutendere ist, wie er mit einem leichten Augenzwinkern anmerkt.

Nachwuchssorgen gibt es, wie bei vielen Vereinen, auch bei den Pfadfindern. "Der Fußball, aber auch Tischtennis und Handball sind hier die größten Konkurrenten", beklagt Moltke. Dennoch schaffe er es immer, wieder junge Menschen für die Ideen und Praktiken der Pfadfinder zu begeistern. Seine Augen leuchten, wenn er davon erzählt, wie jede Generation ihren eigenen Nachwuchs ausbildet und so die Überzeugungen und Werte der Pfadfinder die Zeit überdauern. Die Gemeinschaftserfahrung in der Natur, verbunden mit einem identitätsstiftenden Wertekompass scheint also bis heute die Faszination für das Pfadfindertum am Leben zu halten.

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