Noch ist die Versorgung gut:Immer auch Berufung

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Reinhard Bungartz war 20 Jahre im Vorstand des ärztlichen Kreisverbandes. Er hat das "Freisinger Modell" etabliert und den Hausarztkreis gegründet. Langfristig fürchtet er einen Hausarztmangel nicht nur auf dem Land

Interview von Gudrun Regelein, Freising

Jetzt, in der Mittagszeit, ist es ruhig in der Hausarztpraxis von Reinhard Bungartz. Vormittags aber sei es voll gewesen, viele Patienten mit einer Atemwegsinfektion seien da gewesen, erzählt der 63-Jährige. Er habe das Glück, dass er seinen Beruf auch immer als Berufung gesehen habe, sagt der Hausarzt. Im Gespräch mit der SZ Freising erzählt Reinhard Bungartz, was in seiner Zeit als stellvertretender Vorsitzender des ärztlichen Kreisverbands Freising alles passierte, weshalb ein Arzt auch immer ein Stück weit Psychologe sein sollte - und wieso immer weniger junge Menschen diesen Beruf für sich wählen.

SZ: Herr Bungartz, welche Eigenschaften braucht ein guter Arzt?

Reinhard Bungartz: Er muss zuhören können, empathisch sein. Er muss mit Menschen umgehen können und ein fundiertes Wissen haben.

Muss er aber nicht auch Psychologe sein - oder zumindest ein gutes Einfühlungsvermögen besitzen -, um herauszufinden, was bei manchem Patienten die Ursache für Beschwerden sind?

Ich sehe das zu 100 Prozent so. Insbesondere für Hausärzte gilt, dass sie ganz sicher viel Einfühlungsvermögen brauchen. Denken Sie an die vielen psychosomatischen Erkrankungen, die uns heute sehr beschäftigen. Schon alleine deshalb sollte ein Arzt psychologische Grundkenntnisse und Erfahrungen besitzen. Heute wird man übrigens im Studium auch entsprechend ausgebildet.

Im Internet-Zeitalter, wo alles schnell gegoogelt werden kann, werden auch Patienten immer kritischer. Wird eine Behandlung für den Arzt dadurch schwieriger?

Das Problem ist, dass Informationen über gesundheitliche Fragen vollkommen ungefiltert im Internet stehen. Der Patient kann keine Wertung vornehmen, schlägt aber eine Therapie vor. Wir brauchen zuvor aber erst einmal eine Diagnose. Ein informierter Patient ist ohne Frage eine Bereicherung. Als mündiger Partner mit Vorbildung macht das sicher Sinn. Die meisten Patienten aber sind nach dem Googeln sehr fixiert oder stark verunsichert - das ist das Hauptproblem.

Es gibt immer weniger Ärzte - gerade auch auf dem Land. Weshalb ist der Beruf nicht mehr attraktiv?

Es gibt auf dem Land tatsächlich immer mehr Praxen, die nur sehr schwierig oder gar nicht nachbesetzt werden können. Junge Ärzte schauen genau hin, wägen die Vor- und Nachteile ab. Die mangelnde Infrastruktur, fehlende Einkaufsmöglichkeiten, sehr lange Arbeitszeiten: all das ergibt eine relativ negative Bilanz. Ich befürchte aber, dass es langfristig nicht nur auf dem Land zu einem Hausarztmangel kommen wird - nicht nur, da der Hausarzt über lange Zeit Laternenträger beim Verdienst war. Das prägt sich ein.

Wie ist die Ärzteversorgung bei uns im Landkreis?

Die Versorgung mit Haus- und Fachärzten ist noch sehr gut - zumindest in der Stadt Freising. Allerding gab es bereits auch Praxen mitten in der Stadt, die nicht nachbesetzt werden konnten. Auch bei uns geht es allmählich in Richtung einer Unterbesetzung - sonst müsste der Bereitschaftsdienst nicht immer wieder erweitert werden. Eine Gruppe mit weniger als zwölf Ärzten nämlich muss aufgelöst werden, das bedeutet, dass es in angrenzenden Gebieten bereits einen Ärztemangel geben muss.

Sie waren viele Jahre stellvertretender Vorsitzender des ärztlichen Kreisverbands Freisings. Nun sind Sie - aber auch die erste Vorsitzende Anne Lengl - nicht mehr zur Wahl angetreten. Hat das einen bestimmten Grund?

Es war unsere Absprache, das gemeinsam zu machen. Wir haben in den vergangenen 20 Jahren den Kreisverband gemeinsam geleitet. Jetzt war es Zeit, ihn in jüngere Hände zu übergeben.

Sie haben in Ihrer Amtszeit unter anderem den Hausarztkreis gegründet. Ist dieser eine reine Interessenvertretung - oder profitieren auch die Patienten?

Der Kreis, übrigens vollkommen ohne Beteiligung der Pharmaindustrie, ist ein Zusammenschluss interessierter Hausärzte, der seit etwa 15 Jahren sehr erfolgreich arbeitet. Unter anderem mit dem erklärten Ziel, die Zusammenarbeit mit den Fachärzten auf lokaler Ebene zu verbessern und zu intensivieren. Davon profitieren die Patienten. Unabhängig davon war es mir seinerzeit als Obmann der Bereitschaftsdienstgruppe gelungen, das sogenannte Freisinger Modell zu etablieren. Ab 18 Uhr gibt es seither an jedem Wochentag einen Bereitschaftsdienst, die anderen Ärzte haben frei. Früher war das nicht so: es gab nur zu bestimmten Zeiten einen Notdienst, ansonsten waren die niedergelassenen Ärzte die Ansprechpartner. Das führte zu Beschwerden von Patienten, die ihren Arzt nicht erreichen konnten. Mit Einführung des Freisinger Modells vor zehn Jahren war dann Ruhe. Inzwischen wird dieser modifizierte Dienst bayernweit praktiziert.

Aber es gab auch Rückschläge?

Ja, mir und einigen treuen Mitstreitern ist es leider bis heute nicht gelungen, eine Bereitschaftsdienstpraxis zu etablieren. Sehen Sie, unser Dienstbereich wurde mehrfach erweitert. Wir sind inzwischen für über 100 000 Menschen in einem sehr großen Gebiet zuständig. Was wir bräuchten, wäre ein geteilter Bereitschaftsdienst mit zwei Ärzten: Einem in der zu schaffenden Bereitschaftsdienstpraxis - beispielsweise am Krankenhaus - und ein zweiter macht mit einem Fahrer Hausbesuche. Nur so kann es gehen, das ist die Zukunft. Das Krankenhaus hat zwar Interesse an einer solchen Praxis signalisiert, aber noch fehlt es an der notwendigen Zahl an Kollegen, die bereit wären, mitzumachen.

Sie waren viele Jahre lang als Arzt tätig. Würden Sie heute noch einmal ein Medizinstudium beginnen?

Ja, ich würde sofort wieder ein Medizinstudium beginnen - und ich würde meinen Weg wieder genauso machen.

© SZ vom 07.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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