Natur und Technik:Das Geheimnis der alten Ackergeräte

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Bei einem verlassenen Hof in Notzing entdeckte der Holzbildhauer Wolfgang Fritz völlig zugewachsene Laufräder, Eggen und Teile eines Heuwenders, aus denen er Kunstwerke macht. Zeugen sie von dem Wirken eines polnischen Zwangsarbeiters im Zweiten Weltkrieg?

Von Thomas Jordan , Notzing

Ein Laufrad, eine Egge, Teile eines alten Heuwenders und viele alte, übereinandergestapelte Stalltüren: Vor zehn Jahren erfuhr Wolfgang Fritz von Bekannten, dass bei einem verlassen Hof am Ortsausgang von Notzing kiloweise kaputte, alte Ackergeräte lagern. Den Holzbildhauer Fritz faszinierte dabei die besondere Verbindung, die das Metall der Ackergeräte mit den Stämmen von Eschenbäumen eingegangen war. Im Laufe der Jahrzehnte sind etwa die Speichen von Laufrädern völlig durchdrungen und regelrecht eingewachsen von Wurzeln und Holzstämmen. Der Prozess, in dem sich die Natur die Technik zurückerobert und dabei krumme, schiefe Objekte zurücklässt fasziniert Fritz schon länger: "Da ist am meisten Leben drin, weil sie die Kraft der Natur, des Blitzschlags und der Fäulnis enthalten", sagt der Holzbildhauer. Fritz erhielt aber nicht nur einen Hinweis auf die Gerätschaften, sondern auch auf den möglichen Urheber des Altmetallhaufens. Und damit ergibt sich eine zweite Ebene in der Geschichte der alten Ackergeräte von Notzing.

Kiloweise alte Metallteile besichtigen der Historiker Giulio Salvati (links) und der Holzbildhauer Wolfgang Fritz (rechts) bei einem verlassenen Hof am Ortsausgang von Notzing. (Foto: Renate Schmidt)

Denn unter all dem Altmetall liegt womöglich eine Geschichte verborgen, die bis in die Endjahre des Zweiten Weltkriegs zurückreicht. Die Ackergeräte könnten etwas über ein Thema erzählen, über das im Landkreis Erding bis heute nur wenig bekannt ist: Das Leben und Wirken der NS-Zwangsarbeiter in Erding. Als Kriegsgefangene und billige Arbeitskräfte kamen Millionen Zwangsarbeiter vor allem aus Frankreich und Osteuropa ab 1939 in das Gebiet des Deutschen Reiches.

Fritz und Salvati freuen sich über Hinweise bezüglich der Identität des Metallsammlers von Notzing. (Foto: Renate Schmidt)

Im Landkreis Erding arbeiteten sie oft als Knechte und Helfer auf Bauernhöfen. Oftmals waren es die jungen Männer aus Osteuropa, die sowohl über die Körperkraft als auch das technische Know-How verfügten, um schwere Ackergeräte zu bedienen. So möglicherweise auch in Notzing. Wolfgang Fritz erfuhr, dass es sich womöglich um einen polnischen Zwangsarbeiter gehandelt hat, der in Notzing Eggen, Laufräder und Heuwender sammelte.

Fritz wandte sich daher im Frühjahr diesen Jahres an den Historiker Giulio Salvati, der sich seit Jahren mit dem Thema Zwangsarbeit im Landkreis Erding beschäftigt. Der Historiker war gleich von der Idee begeistert, mit den hinterlassenen Ackergeräten die Situation der Zwangsarbeiter zu beleuchten. Salvati wurde bereits im Jahr 2016 vom Historischen Verein Erding für seinen Aufsatz zum Thema Zwangsarbeiter mit dem Forscherpreis ausgezeichnet, im Januar 2018 hielt er einen Vortrag dazu im Erdinger Weißbräu. "Für mich persönlich war das Problem am Thema Zwangsarbeit immer, dass es unsichtbar ist", sagt der 30-Jährige Erdinger, der im Moment an der New York University an seiner Doktorarbeit schreibt. Es sei schwierig, den Leuten das Thema Zwangsarbeit nur mit ein paar Schwarz-Weiß-Fotos näherzubringen "und mit Geschichten, die in der Erinnerung verzerrt werden und in Familien kursieren" sagt der Historiker. "Wenn man Kunstwerke sieht, hat es eine starke Wirkung" fügt er hinzu.

Unter dem Metallschrott sind Eggen, Laufräder, Stalltüren und Teile eines Heuwenders. (Foto: Renate Schmidt)

Genau das ist die Idee, die der Holzbildhauer und der Historiker nun gemeinsam verwirklichen wollen. Fritz und Salvati wollen die alten Ackergeräte Stück für Stück in Denkmäler der Geschichte der Zwangsarbeit in Erding umzuwandeln. Ein "diffiziler Prozess", wie Wolfgang Fritz sagt: "Der Rost und die Verknotungen im Verwachsungsprozess müssen bleiben", sagt der Künstler, "damit die Zeitspuren erhalten bleiben." Fritz war es auch, der anhand der Jahresringe der Eschenstämme nachweisen konnte, dass die Eggen und Laufräder von Notzing seit 1945 nicht mehr angerührt worden waren. Die Natur konnte auf diese Weise der Geschichte von Technik und Zwangsarbeit ihre eigene Note anfügen. Den Grund dafür, dass der mutmaßliche polnische Zwangsarbeiter die Gerätschaften sammelte, kennen auch der Historiker und der Holzbildhauer nicht. Die beiden können nur spekulieren: "Es könnte sein, dass er versuchte, diese Geräte zu reparieren und dann zu verkaufen", sagt der Historiker Salvati.

Aus den Fundstücken sollen Kunstwerke für die für 2020 geplante Ausstellung im Stadtmuseum Erding zum Thema 75 Jahre Kriegsende entstehen. (Foto: Renat Schmidt)

So ist es auch ein Appell, den Fritz und Salvati mit ihren "Stummen Zeugen aus Holz" wie sie die Fundstücke nennen, verbinden: "Uns würde interessieren, mehr von seinem Leben, Wirken und seinen Ideen zu erfahren", sagt Salvati. Der Historiker schätzt, dass im zweiten Weltkrieg bis zu 1500 polnische Zwangsarbeiter im Landkreis Erding gearbeitet haben - viele auf Bauernhöfen. Sein Ziel ist es, den Metallsammler von Notzing aus der stummen Masse der Zwangsarbeiter herauszuheben, und ihm ein Gesicht, einen Namen zuzuordnen. Nicht zuletzt, weil für das Jahr 2020 eine Ausstellung zum Thema 75 Jahre Kriegsende geplant ist. Ein Bestandteil der dreiteiligen Ausstellung wird sich mit der Situation der Zwangsarbeiter im Landkreis Erding beschäftigen. Wer über Informationen zu den Ackergeräten von Notzing und deren Urheber verfügt, kann sich per Telefon, unter 08122/ 909337, oder per Mail unter kwolfgangfritz@google-mail.com an den Holzbildhauer Wolfgang Fritz wenden.

© SZ vom 30.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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