Mitten in der Region:Niedlich, aber doch ein Lügchen

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Wie eine kleine Nachsilbe Karriere macht und alles in ein unpassendese rosa Licht taucht

Kolumne von Thomas Radlmaier

Der Publizist Rudolf Augstein hat nachkommenden Journalistengenerationen einen Leitspruch mit auf den Weg gegeben: Man soll "sagen, was ist"! Und auch deshalb rechnen die folgenden Zeilen gnadenlos ab mit einem Unding der Sprache: der Verniedlichung. Gerade in der Weihnachtszeit greift die Klang-Hässlichkeit in Form der Buchstaben c-h-e-n um sich: Türchen, Lebkuchen-Häuschen, Weihnachtsbäumchen oder aber das - ganz und gar furchtbare - Stövchen. Und die Verniedlichungs-Krankheit ist ansteckend. Letztens an einem Konferenztisch konnten die Leute gar nicht mehr aufhören. Sie waren im Verniedlichungsrausch und sagten Wörter wie Tännchen, Käffchen, Häppchen, Väterchen. Das alles sei ja nur ein Missverständnischen. Nur ein Späßchen. Man solle doch ein Glösschen über diese Phänomenchen schreiben. Da bluteten einem die Öhrchen. Doch der Klang allein ist noch nicht einmal das Schlimmste. Das Grundübel des Verniedlichungs-Prinzips ist: Wer verniedlicht, belügt sich selbst.

Das hat längst Spuren im Alltagssprech hinterlassen. Zum Beispiel bekommt man ein Knöllchen, wenn man falsch geparkt hat. Dabei ist das Knöllchen nicht weniger als eine schriftliche Demütigung, die der Parkwächter auf der Windschutzscheibe hinterlassen hat. Und wer sich vorgenommen hat, nur auf ein Bierchen auf einer Party zu bleiben, weiß genau, dass es wahrscheinlicher ist, am nächsten Morgen in der Badewanne aufzuwachen, als sich nach einem Bier zu verabschieden. Und wenn man hört, dass es ein paar Häppchen gibt, sollte man besser selbst was zum Essen mitnehmen.

In der Tierwelt kommt die Verniedlichung sogar einer Diskriminierung gleich. Das Eichhörnchen heißt nur so, weil es viele Menschen klein und süß finden. Aber was würde das Eichhörnchen selbst sagen, wenn es sprechen könnte? Genau: Nennt mich Eichhorn! Auf Bairisch hieß es nicht mehr Oachkatzl, sondern Oachkatz.

Aber gut, vielleicht ist das auch zu viel verlangt. Vielleicht muss man sich zuweilen mit der Verniedlichung abfinden. Diese Zeilen sollen ja auch nur zum Nachdenken anregen, ein Vorschlag zum Jahreswechsel, quasi nur ein kleines Kritikchen.

© SZ vom 24.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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