Mitten in der Region:Das schlabbrige Symbol der Krise

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In Zeiten von Home-Office ersetzt die  Jogginghose  gerne mal die Jeans. Nicht immer zum Vorteil des Trägers.

Kolumne von Christine Setzwein

Ein Mann sitzt auf einem Sofa. Es ist kein normales Sofa, wie man sie in schwedischen Möbelhäusern bekommt. Es ist weiß, riesig, von einem berühmten Designer entworfen und hat viel, viel Geld gekostet. Der Mann selbst ist auch nicht das, was man sich gemeinhin bei einem Mann auf einem Sofa vorstellt. Er hat einen weiß gepuderten Zopf auf dem Kopf, einen Vatermörder um den Hals und eine sehr dunkle Sonnenbrille im Gesicht. Er trägt eine eng geschnittenen, schwarzen Anzug von Dior und sinniert über das Leben im Allgemeinen, die Modebranche im Speziellen und dazwischen über das Mittagessen für seine Hauskatze Choupette. Dort, auf diesem Sofa in einer Pariser Wohnung, könnte Karl Lagerfeld der Satz eingefallen sein, der ihn unsterblich macht: "Wer Jogginghosen trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren."

Das war lange vor der Corona-Krise. Irgendwann wird die Jogginghose als Symbol der Pandemie übrig bleiben. Wer im Home-Office arbeitet, am Küchentisch, auf dem Sofa oder auf dem Balkon, braucht weder Krawatte noch Bleistiftrock. Schlabberlook statt Business-Anzug. Sogar Vogue-Chefin Anna Wintour meldet sich in roter Jogginghose von ihrem Schreibtisch daheim. Was zum einem zu einem Aufschrei bei den Fashionistas geführt hat und zum anderen die Frage erlauben könnte, ob es im Moment nicht wichtigere Dinge gibt. Was es auf alle Fälle gibt: Jogginghosen in allen Farben, mit Streifen und - total in - mit Batikmuster. Für 20 Euro sind die natürlich nicht zu haben. Viel mehr hat die graue Jogginghose des Mannes mittleren Alters, der vor einem in der Schlange beim Metzger steht, sicher nicht gekostet. Sie ist so ausgeleiert, dass das Hinterteil fast bei den Knien hängt und wahrlich keinen schönen Anblick bietet. Fast möchte man Karl Lagerfeld Recht geben.

© SZ vom 27.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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