Landkreis:Überleben in Rückzugsräumen

Lesezeit: 3 min

Arten, die als Tiere und Pflanzen des Jahres nominiert werden, sind häufig in ihrem Bestand gefährdet. Beim Feuersalamander überrascht das nicht, beim Stieglitz oder den Wiesenschlüsselblumen hingegen schon

Von Thomas Daller, Landkreis

Es ist meistens eine zweifelhafte Ehre, wenn eine Art für die Tiere und Pflanzen des Jahres nominiert wird. 2016 sind das unter anderem der Hecht, der Stieglitz oder die Wiesenschlüsselblume. Klingt nach Allerweltsarten, die jeder kennt und die weit verbreitet sind. Aber es handelt sich um Tiere und Pflanzen, deren Lebensräume sich auch im Landkreis Erding verändern, was dazu führt, dass die Populationen abnehmen.

Der Stieglitz zum Beispiel. Er ist einer der farbenfrohesten Vögel Deutschlands, bereits die rote Gesichtsmaske mit dem weiß und schwarz gefärbten Kopf ist sehr markant. Der Distelfink, wie er auch genannt wird, ernährt sich vornehmlich von den Samen verschiedener Blütenpflanzen, Gräsern und Bäumen. Bundesweit ist der Bestand der Stieglitze in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen. Das hängt mit dem Rückgang der Brachflächen in der Landwirtschaft zusammen. Nach Angaben des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) sind seit 1994 fast 90 Prozent dieser Brachflächen verloren gegangen und damit auch die Habitate der Stieglitze. Bundesweit habe der Bestand von 1990 bis 2013 um 48 Prozent abgenommen. Nur noch 40 Prozent der Gesamtpopulation lebt noch in der Agrarlandschaft, 60 Prozent wurden in den Siedlungsraum verdrängt. "Es ist schon fast dramatisch, wenn in der Stadt mehr Wildtiere leben als in der Landwirtschaft", sagt der Dorfener Naturfotograf Andreas Hartl. Die Natur befinde sich "auf dem Rückzug". Grünland oder Ödlandflächen, wie sie der Stieglitz benötige, seien insbesondere für den Maisanbau umbrochen worden, den man für die Biogasanlagen benötigt. "Es gibt auch Bestrebungen, durch Ackerrandstreifen diese Verluste zu kompensieren", sagt Sebastian Hupfer, Kreisvorsitzender des Landesbundes für Vogelschutz (LBV). "Aber das ist zu wenig, um den Rückgang beim Stieglitz zu vermeiden."

Ähnlich verhält es sich mit den Wiesenschlüsselblumen. Als Autofahrer hat man im Frühling den Eindruck, diese Blumen seien immer noch weit verbreitet, weil man sie überall entlang der Straßenböschungen sieht. Aber die Straßenböschungen sind ihr "letzter Rückzugsraum", sagt Hartl. Eigentlich seien die Schlüsselblumen "Begleitblumen" der Wiesenbäche. Weil aber bis an die Bäche hin gedüngt werde und die Schlüsselblumen keine Gülle vertragen, würden ihre natürlichen Lebensräume zerstört. Man sehe sie daher fast nur noch in Parks und eben an Straßenböschungen. Dort werde nicht gedüngt und spät gemäht, so dass die Schlüsselblumen noch aussamen könnten. "Es ist makaber", sagt Hartl, dass Straßenböschungen als Rückzugsräume herhalten müssten. "Das ist wie mit den Bussarden, die dort tot gefahrene Viecher fressen, weil sie sonst nichts mehr finden."

Im Gegensatz zu Stieglitz und Schlüsselblume ist ein Feuersalamander in freier Natur ein seltener Anblick; im Landkreis Erding werden noch nicht viele den Lurch des Jahres 2016 gesehen haben. Und dennoch gibt es ihn. Hartl weiß von einer Population im Sollacher Forst, in der Gemeinde Isen. Die Feuersalamander sind nur nachts unterwegs und leben daher fast unbemerkt dort. Lediglich nach Gewitterregen kann man sie auch schon mal in der Dämmerung zu Gesicht bekommen. Im Sollacher Forst fließt ein kleiner Bach, den sie zur Fortpflanzung nutzen. Das Weibchen hänge den Hinterleib ins Wasser, um die Larven lebend zu gebären. Sobald die Larven eine Größe von vier bis fünf Zentimetern erreicht haben, verschwinden die äußeren Kiemen. Sie verlassen das Wasser und leben dann an Land.

Diese Feuersalamanderpopulation im Sollacher Forst wäre fast ausgerottet worden, sagt Hartl. Das sei etliche Jahre her. Damals seien im Wald noch frisch geschlagene Stämme mit dem Holzschutzmittel Lindan besprüht worden, das mittlerweile verboten ist. Bei einem starken Regen sei das Lindan in den Bach geschwemmt worden, in dem die Larven lebten. Mit fatalen Folgen: "Dort ist alles verreckt", sagt Hartl. Zum Glück hat sich die Population davon erholt. Akut ist sie nicht bedroht.

Den Feldhamster als Wildtier des Jahres 2016 sucht man im Landkreis Erding jedoch vergebens. Lediglich in Unterfranken ist er noch zu finden. Bundesweit sind die letzten Bastionen in Sachsen-Anhalt und Thüringen; ehemals wahre Feldhamster-Hochburgen. Verantwortlich für den massiven Rückgang ist die Intensivierung der Landwirtschaft. Mit ihr kam die Umstellung von Sommer- auf Wintergetreide. Wintergetreide kann im Sommer einige Wochen früher geerntet werden, denn es wird bereits im Vorjahr gesät und bleibt den Winter über im Boden. In der kurzen Aktivitätszeit des Feldhamsters müssen die Weibchen drei Würfe großziehen. Mit dem Wintergetreide fiel die Ernte bereits in die Zeit des zweiten Wurfs. Nach der Ernte wird der Boden meist sofort umgepflügt, innerhalb von Minuten hat das Tier keine Deckung und keine Nahrung mehr. Ab Ende Juli waren die Felder für Hamster nur noch Wüsten.

© SZ vom 11.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: