Krisen:Die Nachfrage steigt

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Landkreis hat die Beratung von Menschen in Finanznot zwischen Caritas und Landratsamt aufgeteilt. Beide haben zu tun

Von Regina Bluhme, Erding

Die Schuldnerberatung im Landkreis Erding ist ein spezielles Konstrukt. Jahrzehntelang lag sie in den Händen der Caritas. 2019 stand die Fachstelle vor dem Aus, weil Landrat Martin Bayerstorfer die Beratung in seinem Haus ausbauen wollte. Es kam zu einer Einigung: Die Schuldner- und Insolvenzberatung ist jetzt am Landratsamt angesiedelt und seit dem 1. Januar 2020 mit zwei Vollzeitkräften besetzt, während bei der Caritas der langjährige Schuldnerberater Ralf Lohrberg zusammen mit seiner Kollegin Brigitte Fischer die Soziale Beratung und die Fachstelle für Schuldenprävention bildet. Beide Beratungsstellen verzeichnen eine steigende Nachfrage.

Kaum begonnen, führte im März der Corona-Lockdown dazu, dass Beratung von Menschen in sozialen und finanziellen Krisen nur per Telefon möglich war. Es sei ein gravierender Unterschied, ob man jemand anschauen könne, "seine Mimik und Gestik sieht", oder nur die Stimme hört, sagt Ralf Lohrberg. Er musste viel nachfragen und auf die Intonation achten, "hören, wie dem Anrufer geht". Eine halbe Stunde am Telefon könne anstrengender sein als eine Stunde Gespräch. Immerhin gab es Gespräche - die Präventionsveranstaltungen an Schulen dagegen mussten aufgrund der Schulschließungen komplett ausfallen. Für 2020 hatten die Caritas 30 Einheiten in Mittelschulen, Realschulen, Gymnasien und in der Berufsschule im Landkreis geplant.

Auch bei der Schuldnerberatung am Landratsamt waren im Lockdown nur noch Telefonate möglich. "Neue Termine wurden ebenso telefonisch vereinbart und auch durchgeführt, einzureichende Unterlagen mussten auf dem Postweg an die Schuldnerberatung geschickt werden", heißt es in der schriftlichen Antwort des Landratsamts auf die Anfrage der SZ.

Am Anfang des Lockdowns seien sehr viel Ängste im Vordergrund gestanden, sagt Lohrberg. "Wie soll ich mich im Alltag verhalten?" Insgesamt, findet Lohberg, habe die Regierung die Unterstützung "ganz gut hingekriegt". Über das Jobcenter konnten Anträge online gestellt werden. Das wiederum habe allerdings einige überfordert. Telefonisch habe er Klienten unterstützt, so gut es ging. "Manche sind aber auch auf der Strecke geblieben."

Eine mögliche Vereinsamung aufgrund des Corona-Lockdowns sei bisher bei den Klienten nicht registriert worden, schreibt das Landratsamt in schönstem Beamtenduktus, "allerdings werden aufgrund der oftmals vorliegenden Überforderung regelmäßig depressive Tendenzen wahrgenommen". Sollte es einer weitergehenden Beratung bedürfen, könne "jederzeit eine Sozialpädagogin aus dem Sachgebiet hinzugezogen werden".

Bei der Caritas hat Lohrberg viele Neuanfragen in der Coronazeit verzeichnet, darunter auch einige Selbständige, die derzeit um ihre Betriebe kämpfen. Valide Zahlen könne er erst Ende des Jahres nennen. Die Fallzahlen bei der Schuldnerberatung im Landratsamt sind laut Pressestelle im Jahr 2020 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ebenfalls gestiegen (2020 bislang: 93 Fälle, 2019: 83 Fälle). Die Beratungsanfragen hätten sich bisher "nur in sehr wenigen Einzelfällen direkt auf die Corona-Krise bezogen".

Die meisten Hilfesuchenden (66 Prozent) haben laut Landratsamt ERding Schulden bei öffentlichen Gläubigern wie etwa dem Amtsgericht, der Staatsanwaltschaft, der Agentur für Arbeit oder dem Jobcenter, gefolgt von Schulden bei Telekommunikationsanbietern und Ratenkreditgebern.

Schulden habe auch jemand, der ein Auto auf Pump kauft, das sei grundsätzlich ja kein Problem, sagt Lohrberg. Wer die Raten allerdings nicht mehr abzahlen kann, der sei überschuldet. Dann werde es schwierig - und es könne schnell gehen, und jeden treffen. Jobverlust, Krankheit oder Trennung können schnell die "Finanzierungsgrundlage blockieren".

Ralf Lohrberg ist froh, dass mittlerweile wieder persönliche Gespräche möglich sind. Seit September herrsche "eine gewisse Normalität im Anormalen". Ein Grundproblem bei Präventionsarbeit bleibt aber bestehen: Die meisten Menschen holen sich erst Hilfe, wenn es fast zu spät ist, nämlich erst dann, wenn eine Pfändung angedroht ist und der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht.

Sollte jemand "in existenzieller Not" um seinen Rat in Schuldenfragen bitten, werde er ihn nicht abweisen, sagt Ralf Lohrberg, der für die Caritas fast 30 Jahre in der Schuldnerberatung tätig ist. Zumindest ein erstes Vorgespräch würde er führen, dann aber aufs Landratsamt verweisen.

© SZ vom 19.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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