Erding:Flucht aus der Kirche

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In den Kirchen, hier die Marktkirche St. Veit in Dorfen, bleiben immer mehr Plätze unbesetzt. (Foto: Renate Schmidt)

Die Zahl der Austritte hat in diesem Jahr massiv zugenommen. Erklärt wird die Abwanderung mit der Kirchensteuer, dem Unmut über die Missbrauchsfälle und zunehmender Entfremdung.

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Der Kirche laufen die Schäfchen davon. 2022 sind bisher deutlich mehr Menschen ausgetreten als in den vergangenen Jahren, auch im Landkreis Erding. Damit beschleunigt sich ein jahrelanger Trend. Für Dorfen meldet beispielsweise das zuständige Standesamt 320 Austritte, wovon 285 der römisch-katholischen und 35 der evangelischen Kirche angehört hatten. Im vergangenen Jahr sind es nur 189 gewesen. Als Gründe vermuten die Seelsorger im Landkreis die Kirchensteuer und die zunehmende Entfremdung vor allem mit der katholischen Kirche. Der Hauptgrund 2022 dürften die Missbrauchsskandale sein. Nach dem Gutachten zu Missbrauchsfällen in der katholischen Erzdiözese München und Freising Anfang des Jahres hatte es viele Austritte gegeben.

84 Prozent der Weltbevölkerung gehören einer Religion an - Tendenz steigend. In Deutschland läuft die Entwicklung aber entgegengesetzt. Über Jahrhunderte war es in Deutschland normal, einer der großen Kirchen anzugehören. Jetzt ist der Anteil der Kirchenmitglieder auf unter 50 Prozent gefallen. Selbst eher ländliche Gegenden, in denen traditionell die Kirche als stärker verwurzelt gilt, melden steigende Austrittszahlen. Der Austritt aus einer Kirche, Religionsgemeinschaft oder weltanschaulichen Gemeinschaft muss in Deutschland beim Standesamt persönlich zur Niederschrift erklärt werden oder ist dort schriftlich in öffentlich beglaubigter Form einzureichen.

Die Standesämter hatten viel zu tun

Und die Standesämter hatten in diesem Jahr viel zu tun. Egal, welches Standesamt man fragt, jedes vermeldet steigende Austrittszahlen. Auch in Isen berichtet Yasmin Köck vom Standesamt "Rekordwerte" und "gerade in dieser letzten Woche des Jahres werden noch einige hinzukommen". Mit Stand vom 27. Dezember waren es in Isen 83 Kirchenaustritte, davon 76 katholischen und sieben evangelischen Glaubens. Sieht man sich den gesamten Pfarrverband Isen an, zu dem auch Lengdorf, Pemmering und Watzling gehören, sind es 130 bei 5260 Katholiken. 2021 waren es nur die Hälfte. Im Jahr 2021 waren es 56 Kirchenaustritte, davon 47 katholisch und neun evangelisch. Auch der Standesamtsbezirk Steinkirchen meldet mehr Austritte als im Vorjahr gemeldet: Bis Dienstag insgesamt 70 (63 römisch-katholisch und sieben evangelisch). 2021 waren insgesamt 54 (48 und sechs). Auch im Bereich der VG Wartenberg das gleiche: 2020 waren es 73 Austritte, 2021 schon 100 und 2022 bisher 188 Austritte, wie Standesamtsleiterin Nadine Schmedemann-Fliegner mitteilt. In der Kreisstadt Erding kann man keine Zahlen nur für Erding nennen. Zum 1. April 2022 wurden die Standesämter Erding und Oberding zusammen gelegt. Welches Standesamt welchen Anteil an den 751 Austritten hat, kann nicht gesagt werden.

Die Entfremdung hat vor Jahren eingesetzt

"Die Kirchensteuer, die bei vielen wohl inzwischen nur vorgeschoben ist, und die Missbrauchsfälle", fallen Dekan Josef Kriechbaumer vom Pfarrverband Isen als Gründe für die Austritte ein. Bei vielen habe zudem die Entfremdung schon vor Jahren eingesetzt. Sie haben schon länger mit der Kirche nichts mehr zu tun gehabt, außer bei Erstkommunion, Firmung oder Trauung. "Dass einige meiner Ministranten ausgetreten sind, das hat mich aber schon überrascht." Das Gutachten der Erzdiözese sei nur einer der Auslöser gewesen, sagt Dekan Kriechbaumer. Wer in seinem Pfarrverband austrete, bekomme von ihm einen "netten Brief", in dem er sich für die Unterstützung der Kirche bedanke und dem Hinweis, dass die Kirche weiterhin für sie da sei.

Auch im Pfarrverband Erdinger Moos werden alle, die austreten, angeschrieben, sagt Pfarrer Philipp Kielbassa. Wenn er eine Rückmeldung bekommen, höre er sich die Gründe an. Was bei den Missbrauchsfällen passiert sei, sei "alles sehr schlimm und entsetzlich" und die "Verärgerung und das Entsetzen" sei nachvollziehbar. "Und man kann gar nicht widersprechen", sagt der Dekan. Er könne nachvollziehen, dass der Drang da sei, dass sich das Entsetzen in etwas anderem äußere, als nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Und das sei eben der Austritt. "Ich kann nichts ungeschehen machen", sagt Kielbassa. Man tue aber alles, "was wir wissen, das wir als wichtig erkannt haben, bis runter in die kleinste Pfarrei", damit die Sensibilisierung aller, die im Pfarrverband arbeiten, für das Thema vorhanden sei.

"Die Gründe für die Austritte sind vielschichtig", sagt auch Pfarrer Gregor Bartkowski vom Pfarrverband Wartenberg. Zum einen sei nach wie vor die Kirchensteuer ein Grund. Dazu kämen die Missbrauchsfälle, die der Kirche schon länger zusetzten, und die schon länger stattfindende Entfremdung von der Kirche. Einige würden austreten, aber trotzdem verlangen, dass ihr Kind getauft wird oder in den katholischen Kindergarten geht, weil sie zwar ihren Glauben nicht verloren haben, sondern nur ausgetreten seien. Die Kirche leiste einen "riesigen sozialen Beitrag", den man gern in Anspruch nehmen wolle. "Diese Erwartung nimmt unwahrscheinlich zu."

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