Kaum Nachfolger:Der letzte Interessent hat abgesagt

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Die Gesundheitsversorgung in ländlichen Gebieten wird künftig durch die Schließung von Apotheken erschwert

Von Korbinian Eisenberger, Hohenlinden

Noch ist alles wie gehabt. Die Tür geht mit einem Klingeln auf, wie gewohnt steht dann der Mann mit der umgehängten Brille hinter dem Apotheker-Tresen und sagt Grüß Gott. Die meisten Kunden kennt Uwe Scheerschmidt beim Namen, oft weiß er schon vorher, in welche Schublade er greifen muss. Doch bald wird er das Regal ausräumen, den Kühlschrank für die Impfstoffe ausschalten und seinen weißen Kittel in eine Umzugskiste packen. Scheerschmidt, 65, hat eineinhalb Jahre nach einem Nachfolger gesucht - vergeblich. "Jetzt hat mir der letzte Interessent abgesagt", sagt er. Scheerschmidt wird am 30. November zumachen. Alles sieht danach aus, dass die 3000-Einwohner-Gemeinde Hohenlinden ihre einzige Apotheke verliert.

Mehr als 30 Jahre hat Scheerschmidt die Forstapotheke geführt, zuletzt war er zudem der Pressesprecher der Apotheker im Landkreis, sprach öffentlich immer wieder die Nöte der Apotheker auf dem Land an. Etwa, dass es so gut wie unmöglich ist, junge Pharmazeuten zu finden, erst recht seit das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz "Amnog" von 2011 die Umsatzbeteiligung der Apotheker an Medikamenten schwächte. Und seitdem Pillen aus dem Internet den analogen Apotheken Konkurrenz machen. "In einer Internetapotheke bekommt der Patient aber keine Beratung", sagte Scheerschmidt vor knapp vier Jahren in einem SZ-Interview. Schon damals war das Problem allgegenwärtig, im Januar 2013 hatte da gerade die St.-Sebastian-Apotheke in Ebersberg geschlossen. Der Apotheker Michael Baumann musste nach drei Jahrzehnten Betrieb aus gesundheitlichen Gründen aufhören. Auch er suchte zwei Jahre lang, einen Nachfolger fand er nicht.

Geändert hat sich seither nichts. Außer, dass es in Bayern immer weniger Apotheken gibt, vor allem auf dem Land. In Bayern ist die Zahl der Apotheken seit 2010 von 3420 auf 3223 gesunken. Der bayerische Apothekerverband, der die Statistiken ermittelt, sieht das Hauptproblem im Amnog-Gesetz und den weggefallenden Rabatten, die Großhändler den Apotheken bis vor fünf Jahren gewährt hatten. Den Großteil der Last hätten seither die Apotheken zu tragen. Für Geschäfte in kleinen Städten mit wenig Kunden sei es besonders schwierig, zu überleben, teilt der Verband mit. Neben dem Ärztemangel werde die Gesundheitsversorgung in ländlichen Gebieten durch den Wegfall von Apotheken dadurch noch schlechter. Derzeit haben im Landkreis Ebersberg 34 Apotheken geöffnet, und bald sind es nur noch 33. "Die Versorgung ist noch gegeben", sagt eine Sprecherin des Verbands. Konsequenzen werde der Verband nicht ziehen, die Hohenlindener müssen von 1. Dezember an sieben Kilometer nach Forstinning fahren, dort ist die nächstgelegene Apotheke.

Eigentlich wollte Scheerschmidt genau das verhindern. "Leicht ist mir die Entscheidung nicht gefallen", sagt er. In den vergangenen Jahren habe er aber zunehmend zu kämpfen - vor allem mit den vielen Nacht- und Feiertagsdiensten. Scheerschmidt ist jeden neunten Tag dran. Je weniger Apotheken es gibt, desto öfter müssen die Filialen ran. Auch ein Grund, warum es für junge Pharmazeuten attraktiver ist, in München zu arbeiten, wo es allein in Schwabing mehrere Dutzend Apotheken gibt. Im Landkreis Ebersberg ist die Wahrscheinlichkeit hingegen groß, dass man an Weihnachten Bereitschaftsdienst hat, so erging es Scheerschmidt im vergangenen Jahr. Am 26. Dezember merkte Scheerschmidt plötzlich, wie sein Blutdruck anstieg, spürte, wie er hyperventilierte und konnte gerade noch den Krankenwagen rufen. Es folgte eine Herz-OP und der ärztliche Rat, es künftig ruhiger anzugehen. Scheerschmidt hat viel versucht, er hat bei Großhändlern aus der Pharmaindustrie nach Kandidaten gesucht, hat in Fachzeitschriften inseriert und seine Kontakte als Landkreissprecher genutzt. Vergangene Woche sagte ihm nun ein Mann aus München ab, der vorher bereits mehrfach zu Besuch war und sogar schon in der Gemeinde vorgesprochen hatte. Warum er dann doch absagte? Wahrscheinlich waren die Aussichten dann doch nicht lukrativ genug.

Wo führt das hin? "Es ist seit Jahren ein eindeutiger Trend zu verzeichnen", sagt eine Sprecherin vom Apothekerverband. In den vergangenen sechs Monaten haben in Oberbayern wieder Dutzende Apotheken zugemacht, im Juni waren es elf weniger als noch im Dezember. Auch in Zorneding steht hört demnächst ein Apotheker auf, Heinz Hauck, der wahrscheinlich dienstälteste Apotheker im Landkreis, ist mittlerweile 86 Jahre alt. Er und seine Frau stehen immer noch in der Adler-Apotheke - anders als bei Ärzten gibt es bei Apothekern keine Altersgrenze. "Im Lauf des nächsten Jahre werden wir aufhören", sagt Hauck.

Und dann? Es würde ihm ähnlich ergehen wie Scheerschmidts Forstapotheke, glaubt Hauck. Und zwar dann, wenn seine Tochter nicht Pharmazie studiert hätte oder nach München abgewandert wäre. "Wir unterzeichnen bald die Verträge", sagt Hauck. Ers selbst wird dann nicht mehr hinter der Türe der Adler-Apotheke stehen.

© SZ vom 12.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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