Impfgegner-Demo:"Katastrophale Botschaft"

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Erdinger Stadträte aus fünf Parteien fordern von Innenminister Herrmann, dass die unangemeldeten sogenannten Spaziergänge nicht taten- und folgenlos hingenommen werden

Von Antonia Steiger und Florian Tempel, Erding

Im Abseits musste die Gegendemo "Erding leuchtet solidarisch" stehen, während die Impfgegner ungehindert von der Polizei geführt vorbeigingen. (Foto: Renate Schmidt)

Harte Kritik äußert die Erdinger Stadtpolitik am Verhalten der Polizei bei der unangemeldeten Versammlung mit etwa 900 Personen in der Erdinger Innenstadt am Montagabend. Die Polizei hatte die Teilnehmer weder darüber in Kenntnis gesetzt, dass es eine unangemeldete Veranstaltung war, noch hatte sie die Maskenpflicht durchgesetzt. Gleichzeitig wurde eine angemeldete Veranstaltung von den Behörden vom zentralen Schrannenplatz abseits in eine Seitenstraße verlegt. Die Botschaft solchen Handelns sei "katastrophal", schreiben 14 der 40 Erdinger Stadträten aus fünf Parteien. In einem offenen Brief bitten sie den bayerischen Innenminister Joachim Herrmann (CSU) "dringend" darum, "konsequent einzuschreiten". Auf eine Anfrage der SZ, welche Möglichkeiten staatlicher Reaktionen es gebe, antwortete das Innenministerium ausweichend und ohne konkrete Vorschläge. Reaktionen gab es auf den offenen Brief, der auch im Internet veröffentlicht wurde, aus der Erdinger Impfgegner-Szene. In einem Chat wurden die Namen und Kontaktdaten der 14 Unterzeichner bekanntgegeben und dazu aufgefordert, diese anzuschreiben oder anzurufen. Mehrere Unterzeichner erhielten daraufhin Hassbotschaften und Drohungen.

Am Dienstagabend war die als Spaziergang getarnte Demonstration von Impfskeptikern, die im Internet von Personen aus der rechtsgerichteten Szene unterstützt wird, auch Thema im Erdinger Stadtrat. Helga Stieglmeier (Grüne) stellte an OB Max Gotz (CSU) die Anfrage, welche Handhabe die Stadt gegen diese "Aufmärsche" habe und auf welche Weise die Pflicht zur Anmeldung der Versammlungen durchzusetzen sei. Gotz stimmte Stieglmeier zu und sagte, es sei "schwere Kost, wenn eine Veranstaltung, die nicht genehmigt ist, von der Polizei auch noch begleitet wird". Gotz nahm an der angemeldeten Gegendemo teil, einer Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an die 153 Menschen, die im Landkreis bisher an einer Erkrankung am Coronavirus gestorben sind. Er habe sich von den Teilnehmern des unangemeldeten Protestzugs vieles anhören müssen, "das weit unter der Gürtellinie war". Gotz kündigte an, sich mit Landrat Martin Bayerstorfer (CSU), dem Städte- und Gemeindetag und dem Innenministerium in Verbindung setzen zu wollen.

Unterzeichner des offenen Briefes an Innenminister Herrmann sind Helga Stieglmeier, Verena Comperl, Gerhard Meier, Cornelia Ermeier, Gerhard Ippisch und Stefan Lorenz (alle Grüne), Burkhard Köppen, Ludwig Kirmair, Janine Krzizok (alle CSU), Alexander Gutwill, Stefan Grabrucker und Carina Bischke (alle SPD), die Zweite Bürgermeisterin Petra Bauernfeind (Freie Wähler) und ÖDP-Stadtrat Stefan Treffler.

In ihrem Brief steht, dass die "Spaziergänger" die Polizei in den sozialen Medien "gefeiert" hätten, weil diese ihnen die Straße freigehalten habe. Die Polizei sei in den Augen der "Spaziergänger" gewissermaßen als Organisator und Verantwortliche des Protestzugs aufgetreten. Im offenen Brief heißt es: "Ist es wirklich die Botschaft, die das Innenministerium an bayerische Bürgerinnen und Bürger senden will? Der Rechtsstaat hat keine Handhabe und lässt sich von der Minderheit auf der Nase tanzen? Eine Minderheit kann sich ungehindert in der Stadt breit machen und die Mehrheit hat sich dem zu beugen?"

Das Innenministerium hat darauf bislang keine Antwort. Auf eine Anfrage wird noch einmal die Rechtslage referiert, über die "die Regierungen, Kreisverwaltungsbehörden und die Verbände der Bayerischen Polizei vergangene Woche informiert" worden seien. Nach ständiger Rechtssprechung genüge ein "Verstoß gegen eine versammlungsrechtliche Anzeigepflicht noch nicht, um eine Versammlung zu verbieten." Eine Versammlung könne jedoch aufgelöst werden, wenn die "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" gefährdet sei. "Im Einzelfall" könnte das der Fall sein, wenn die Ordnungsbehörden "wegen der fehlenden Vorbereitungsmöglichkeit nicht in der Lage sind, die Versammlung kurzfristig ausreichend abzusichern".

In Erding war dies nicht der Fall. Die Polizei wusste seit Tagen Bescheid und hatte sich intensiv auf die unangemeldete Versammlung vorbereitet. Unter anderem wurde die ursprünglich auf dem Schrannenplatz geplante Gegendemo in eine Seitenstraße verlegt. Rainer Kroschwald, Leiter der Polizeiinspektion Erding schreibt dazu auf Anfrage der SZ, die Versammlung "Erding leuchtet solidarisch" sei "nach einem Kooperationsgespräch mit dem Anmelder und Versammlungsleiter im Einvernehmen aller Beteiligten" verlegt worden. Die Wegstrecke, über die der Protestzug von der Polizei geführt wurde, sei aus "Aspekten der Verkehrssicherheit und aus polizeitaktischen Erwägungen heraus" und in Abstimmung mit dem Landratsamt gewählt worden.

© SZ vom 23.12.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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