Hemadlenzen:Dorfen weißblau

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Beim Umzug der Hemadlenzen vertreiben die Narren den Winter. Sie tanzen, trinken und feiern. In diesem Jahr aber weniger friedlich als in den vergangenen Jahren

Von Judith Issig, Dorfen

Wenn das Ereignis des Jahres bevorsteht und wenn dieses Ereignis mit Kälte und Alkohol verbunden ist, dann ist ein Weißwurstfrühstück eine gute Grundlage. Am Morgen des Unsinnigen Donnerstags frühstückt also ganz Dorfen Weißwürste. Denn der Umzug der Hemadlenzen steht bevor.

"Ganz Dorfen ist weiß an diesem Tag", sagt Sylvia Baresch, Präsidentin der Karnevalsgesellschaft Dorfen. Das liegt nicht am ungemütlichen Schneegestöber, das pünktlich zu Beginn des Umzugs einsetzt. Sondern am Gewand der Hemadlenzen. Ein Dorfener, der etwas auf sich hält, trägt weißes Nachthemd, Zipfelmütze oder eine Nachthaube und lange weiße Unterhosen. Begleitet von der Musik der Dorfener Faschings Deife und von Partyhits aus der Konserve, ziehen sie durch die Innenstadt. Etwa 3000 sind es, schätzt die Polizei. Auch Landrat Martin Bayerstorfer und der Bundestagsabgeordnete Andreas Lenz (beide CSU) lassen es sich nicht nehmen mitzulaufen. Immerhin, "das ist der größte Tag für Dorfen", sagt Bürgermeister Heinz Grundner (CSU). Die Tradition des Hemadlenzn-Umzugs ist mehr als 200 Jahre alt und hatte es sogar schon als Kandidat in die Vorrunde zum Unesco-Weltkulturerbe geschafft.

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(Foto: Renate Schmidt)

An den Saublasen kann man sie erkennen, die echten Traditionalisten des Dorfener Hemadlenzen-Umzugs. Etwa 3000 Teilnehmer waren heuer bei dem Spektakel dabei.

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(Foto: Renate Schmidt)

Achmed Saho aus dem Senegal an der großen Trommel.

Hinter den verschlossenen Fenstern des Unteren Tores wartet das Dorfener Faschingsprinzenpaar, Julia I. und Michael I auf den Umzug. "Aufstehen! Aufstehen!", skandieren die Hemadlenzen. Sylvia Baresch geht fensterln: Sie klettert über eine Leiter ans Turmfenster und klopft. Julia öffnet das Fenster, winkt und wirft Bonbons in die Menge. Der Prinz hat seine Krone aufgelassen, doch sonst tragen auch diese beiden Hemadlenzen-Gewand. Sie klettern aus dem Turm, die Kapelle spielt einen Tusch und dann die Dorfener Narrenhymne. Den Text kann jeder auswendig. Und für die Münchner, die extra nach Dorfen kommen, gibt es Spickzettel.

Die Abholung des Prinzenpaars am Unteren Tor. (Foto: Renate Schmidt)

Die Hemadlenzen ziehen weiter in Richtung Rathaus. Wieder steigt Sylvia Baresch die Leiter hinauf, im ersten Stock des Rathauses wartet Bürgermeister Heinz Grundner darauf, abgeholt zu werden. "In der Stadt der Heimatlenzen -" rufen sie von der Leiter, "soll Humor und Gaudi glänzen!", antwortet die Menge vor dem Rathaus. Grundner klettert aus dem Fenster und schließt sich dem Zug an - nicht ohne vorher mit Baresch anzustoßen.

Nach einer Schleife durch die Stadt versammeln sich die traditionsbewussten Hemadlenzen am Marienplatz. Sie wollen den Winter austreiben. Ein Hemadlenz aus Stroh, im weißen Hemd und Tennissocken, wird angezündet. Schon brennend, ziehen ihn die Dorfener an einem Galgen nach oben, die Menge jubelt. Und immer wieder singen sie Dorfens Narrenhymne.

Der brennende Lenz am Galgen. (Foto: Renate Schmidt)

Mohammad Akbari steht am Rand des Umzugs und fotografiert mit seinem Smartphone - fremde Sitten und Rituale. Akbari kommt aus Afghanistan, seit einem Jahr lebt er in Dorfen. "Das ist toll", sagt er, "es ist schön, die Leute feiern zu sehen." Extra für diesen Tag hat sich Akbari von seiner Familie ein traditionelles afghanisches Gewand schicken lassen - es sieht aus wie ein original Hemadlenzn-Nachthemd. Viele Dorfener grüßen Akbari fröhlich, als sie ihn darin sehen. "Der Hemadlenz ist ein geselliger Zeitgenosse", sagt Sylvia Baresch.

Das sieht auch Eva Rimpfl so. Schon als Kleinkind ist sie im Leiterwagen dabei gewesen. Jetzt, mit 21, trägt sie eine rote und eine blaue Ringelsocke zum weißen Nachthemd. Auf den Wangen rote Herzchen, in der Hand eine Flasche Bier. "Das Schöne ist, dass man alle trifft, die man kennt und mit allen anderen auch sofort ins Gespräch kommt", sagt sie. Den Proviant für den Tag hat sie wie alle anderen um den Hals baumeln: Eine Kette, an der nicht nur eine Breze, sondern auch viele kleine Schnapsfläschen hängen. Außerdem eine Babyflasche - mit Whiskey-Cola drin. "Aber das muss für den ganzen Tag reichen", sagt Rimpfl. Alkohol gehört dazu. Auch der Bürgermeister hatte am Morgen angekündigt: "Mit einem Bier intus komme ich die Leiter problemlos runter."

Derweil haben sich die Jugend und die weniger Traditionsbewussten am Unteren Markt versammelt. Hier stehen die Buden der Brauereien. Zwischen Konfetti und Bonbons liegen kleine Schnapsfläschchenen zerbrochen am Boden. Die Blicke sind glasig geworden. Später wird Polizeichef Milius sagen, er sei "unangenehm überrascht", von der diesjährigen Veranstaltung. Vor dem Umzug war Milius noch optimistisch gewesen: "Wir erwarten keine Störungen." Die Maßnahmen der Stadt, zum Beispiel das Verbot, an den Ständen hochprozentigen Alkohol auszuschenken, trügen jetzt Früchte. Doch obwohl weniger Hemadlenzen gekommen waren, sei es am Rande der Veranstaltung zu kritischen Vorfällen gekommen. Vermutlich sind drei junge Frauen begrapscht worden, der Floriansbrunnen wurde aus dem Boden gerissen. Mehrmals musste der Rettungswagen Betrunkene versorgen. "Der Hemadlenz ist ein freundlicher Bursche, der alle Fünfe gerade sein lässt", hatte Bürgermeister Grundner am Morgen noch gesagt.

© SZ vom 05.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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