Geschichte im Landkreis Erding:Digitale Fundgrube

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Eine Fotoseite aus der Broschüre zum NSDAP-Kreistag 1937 in Erding zeigt, was für ein Großereignis es war und wie Tausende begeistert mitmachten. (Foto: erding-geschichte.de)

Der Historiker Giulio Salvati baut ein Onlinearchiv zur NS-Geschichte auf. So werden lokale NSDAP-Publikationen und Dokumenten für alle Interessierten leicht zugänglich

Von Florian Tempel, Erding

Mit seiner Forschung zum Schicksal der vielen tausend Frauen, Männer und Kinder, die die Nationalsozialisten von 1939 bis 1945 in den Landkreis verschleppt haben und die hier als Zwangsarbeiter ausgebeutet wurden, hat der Erdinger Historiker Giulio Salvati ein lange unbeachtetes Kapitel der Lokalgeschichte aufgeschlagen. Für die Erstellung einer Datenbank, die zugleich ein digitales Denkmal für die vergessenen Zwangsarbeiter wurde, ist er in diesem Jahr mit dem Tassilo-Kulturpreis der Süddeutschen Zeitung ausgezeichnet worden. Salvati setzte seine lokalgeschichtliche Arbeit fort. Er hat begonnnen, seine Internet-Plattform erding-geschichte.de mit einem Onlinearchiv zur NS-Geschichte im Landkreis zu ergänzen. Das Archiv ist nun mit den drei ersten Sammlungen freigeschaltet.

Zum einen gibt es Briefe, Postkarten und Fotos, die darüber berichten, wie Kriegsgefangene nach 1945 wieder Kontakt mit denen aufgenommen haben, bei denen sie Zwangsarbeit leisten mussten. "Das sind die guten Storys, die auch dazu gehören", sagt Salvati, "der Krieg hat auch Familien unerwartet näher gebracht." Die Dokumente haben ihm Marlene Schleibinger aus Niederding und die ehemalige Kreisbäuerin Marianne Rötzer aus Siglfing überlassen. Die Sammlung wird von Salvati zusammen mit dem Erdinger Heimatforscher Dietmar Schmitz kuratiert.

Die zweite Abteilung des Onlinearchivs beinhaltet Publikationen der NSDAP im Landkreis Erding. Bislang sind hier zwar nur fünf Broschüren eingestellt, die nach NSDAP-Kreistage herausgegeben wurden. Aber schon die haben es in sich. Die Kreistage fanden abwechselnd in Freising, Erding und Ebersberg statt. Es waren Großereignisse an denen Tausende Nazis in all ihren Gruppierungen teilnahmen. 1937 war Erding stolzer Gastgeber des NSDAP-Kreistags. Die "Tagungsfolge" genannte Broschüre beschreibt das mehrtägige Nazi-Fest mit vielen Details, Namen und Fotos.

Ein paar Beispiele: Nach dem "Einzug der Standarten und Fahnenabordnungen" wurde am Mittwoch, 26. Mai 1937, die Eröffnungskundgebung mit einer Beethoven-Ouvertüre und Fanfaren gestartet. Nach der ersten Ansprache wurden "Deutschland- und Horst-Wessel-Lied" gemeinsam gesungen. Am Abend gab es einen Vortrag zur "Deutschen Rassenpolitik". Tags darauf ging es mit "Sondertagungen der Deutschen Arbeitsfront" in verschiedenen Untergruppen weiter. Abends wurde Freilicht-Kino auf dem Schrannenplatz geboten, mit "Opfer der Vergangenheit" - ein widerwärtiger Propagandafilm, der für "Rassenhygiene" und die "Vernichtung lebensunwerten Lebens" wirbt - und Leni Riefenstahls Machwerk "Triumph des Willens" über den Reichsparteitag 1934. So geht es immer weiter bis zum Sonntag mit "Großem Aufmarsch der SA, SS, NSKK, Politischen Leiter, Hitler Jugend, BDM, Reichsarbeitsdienst sowie der angeschlossenen und nicht angeschlossenen Verbände" und der "Deutsche Jugend im Sportkampf auf der Horst-Wessel-Kampfbahn" am Nachmittag.

Die dritte Abteilung in Salvatis Onlinearchiv ist eine fast vollständige Sammlung der Zeitungsbeilage "Aus der Heimat", mit der die NSDAP-Kreisleitung während des Zweiten Weltkriegs die Soldaten aus dem Landkreis über das Leben an der Heimatfront informierte. Die Schriftreihe umfasst 57 Ausgabe mit je zehn bis 16 Seiten. Der Inhalt ist "zum Teil propagandistisch, vor allem aber geht es um Belangloses", sagt Salvati. Viel dreht sich um Familiennachrichten aus den Dörfern und Städtchen. Allerdings "ist es von der Verpackung her ein hochideologisches Propagandablatt". Aus heutiger Sicht ist es in jedem Fall eine Fundgrube. Salvati hat die Originalseiten eingescannt und mit Hilfe der Bibliothekarin Sara Melchior den Text suchfähig noch einmal dazugestellt.

Die meisten Berichte kamen von der Ortsgruppe Dorfen, wo Josef Martin Bauer und seine Frau diese verfassten. Für Georg Wiesmaier von der Geschichtswerkstatt Dorfen hat sich "Aus der Heimat" als wichtige Quelle bei der Recherche zu den verschwiegenen NS-Aktivitäten des Dorfener Erfolgsautors erwiesen. Josef Martin Bauer schrieb darin zum Beispiel dies: "Damit auch alle wissen, dass sie auf ihrem Platz eine höhere Verpflichtung haben, um mit beizutragen, dass der Kampf zum entscheidenden Sieg wird, denn von ihm hängt die Zukunft des Reiches und der ganzen Welt ab. (...) Heil Hitler! Euer J. M. B."

Das Onlinearchiv zur NS-Geschichte findet sich auf der Plattform www.erding-geschichte.de .

© SZ vom 30.10.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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