Geschichte:"Achtzehnhundert-underfroren"

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Vor 200 Jahren war das Erdinger Land von einem Hungerwinter massiv betroffen

Von Thomas Daller, Erding

Ein ungewöhnlich kalter und niederschlagsreicher Sommer des Vorjahres führte 1817 auch in Erding nach Missernten zu starken Preiserhöhungen bei Getreide. Umgerechnet auf heutige Verhältnisse kostete damals ein Pfund Schwarzbrot 18 bis 20 Euro. Ursache war der Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora im April 1815, dessen Ascheausstoß das Klima der Erde stark beeinflusst hatte. Die säurehaltigen Aerosole der gigantischen Asche-Emissionen bildeten Dunstschleier, die das Sonnenlicht absorbierten. Man nannte 1816 das Jahr ohne Sommer und der Winter von 1817 ging als "Achtzehnhundertunderfroren" in die Geschichte ein.

Franz Joseph Lethner, seinerzeit Pfarrer in Bockhorn, hat in seinem Tagebuch die Ereignisse im Landkreis Erding vor 200 Jahren festgehalten. Der Hungerwinter kündigte sich bereits 1815 an, als am 23. Juli ein Hagel die Ernte größtenteils vernichtete. 1816 folgte ein nasser und kalter Sommer, im Juni und Juli regnete es fast pausenlos, eisige Winde wehten von Nordost, Gewitterstürme mit Hagel vernichteten große Teile der Ernte. Was davon noch übrig blieb, konnte laut Lethner wegen der Hagelschauer erst ab 5. August eingebracht werden. Bereits am 14. September gab es den ersten Frost, am 12. November 1816 lag das Land unter der ersten Schneedecke. Die Politik versagte, man hoffte bis zuletzt, dass sich das Wetter noch bessern würde und hielt sich zurück, aus nicht betroffenen Gebieten wie Ostpreußen etwa, Getreide einzukaufen. In Bayern verlor der nüchtern kalkulierende Minister Max Joseph Graf von Montgelas deshalb im Februar 1817 seinen Posten, auch weil er der Bevölkerung Wallfahrten und Bittgottesdienste verboten hatte.

"Getreide stieg ungeheuer im Preise", notierte Pfarrer Lethner. Das Schäffel Weizen, etwa 150 Kilogramm, kostet 48 Gulden, Korn 45 Gulden, Gerste 26 Gulden, Haber 10 Gulden das Schäffel. "Ich ließ mir in Moosburg 6 Schäffel Erdäpfel für alle Fälle einer Hungersnot a 6 Gulden 20 Kreuzer einkaufen und durch den Baumeister herbeiführen, denn ich fürchte, dass ich mit meinem Korn, wenn ich auch bei jedem Gemalter 1 Schäffel Gerste beimischen lasse, nicht ausreichen werde. Künftiges Jahr, im April, Mai, Juni und Juli, wenn die Bauern Korn kaufen müssen, kann die Not erst aufs höchste steigen. Gebe Gott im Jahr 1817 eine gesegnete Ernte, sonst muss der Handwerksmann mit Kindern betteln oder stehlen. Auch die Bienen gedeihen nicht. In meiner Pfarrei sind so viele umgestanden. Ich bekam von 15 Stöcken und Körben nur 1 Schwarm", schreibt Pfarrer Lethner.

Am 11. Januar 1817 schreibt Lethner die Münchner Getreidepreise nieder: Weizen kostet in München mittlerweile 51 Gulden, Korn 44 Gulden, Gerste 35 Gulden, Haber 11 Gulden das Schäffel. 1817, am 26. Mai, notiert er erneut die gestiegenen Preise, diesmal die der Schranne in Erding, die lange Zeit nach München der größte Getreidemarkt in Bayern war: "Mein Baumeister kaufte in Erding auf der Schranne 8 Schaff Weizen a 70 Gulden, Korn kostete 66 Gulden, die Gerste 35 Gulden, Haber 20 Gulden. Es ist traurig, schreiben zu müssen, dass täglich Bauern teils um Samengetreide, teils um Speisegetreide im Pfarrhof kommen, und lass ich in die Schranne fahren, so kommen sie um Geld. Und noch sind 12 Wochen bis zur Ernte. Gott, welche Not wird noch werden?"

Die Lebensmittelpreise steigen und steigen. Im Juni und Juli 1817, also bis zum Anschluss an die neue Getreideernte, erreichen sie ihren Höchststand und klettern auf das sechs- bis achtfache der Preise in einem Normaljahr. Im Sommer 1817 konnte schließlich wieder eine normale Ernte eingebracht werden. Der Hungerwinter 1817 ging als die letzte große Versorgungskrise der westlichen Welt in die Geschichte ein. Viele Bauern stellten anschließend von der Vierfelder-Wirtschaft auf das wesentlich ertragreichere Fruchtfolge-Prinzip um. Ein weiterer Nebeneffekt war die Erfindung des Fahrrads durch den Freiherrn von Drais im Jahre 1817: Er wollte ein Fortbewegungsmittel, bei dem man nicht länger auf Hafer zur Fütterung angewiesen war.

© SZ vom 03.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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