Freising:Die Orange war das kleinste Übel

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61-Jähriger liefert sich nach Diebstahl Gerangel mit Polizisten und muss nun für eineinhalb Jahre ins Gefängnis

Von Alexander Kappen, Freising

Der Staatsanwalt bezeichnete den Fall als "ein bisschen skurril", und der 61-jährige Angeklagte meinte in der Schöffensitzung des Freisinger Amtsgerichts, "es wäre nicht normal, mich wegen einer Orange ins Gefängnis zu stecken". Das sah das Gericht unter Vorsitz von Manfred Kastlmeier ein bisschen anders und verurteilte den arbeitslosen Freisinger zu eineinhalb Jahren Haft - ohne Bewährung. Und zwar nicht, weil er im November vergangenen Jahres aus der Auslage eines Supermarkts eine Orange im Wert von 50 Cent geklaut hatte, wie der Richter in der Urteilsbegründung betonte, sondern weil er anschließend mit seinen Krücken und Händen auf Polizisten einprügelte. Wenngleich er sie nur leicht verletzte, muss der einschlägig vorbestrafte Angeklagte nun wegen räuberischen Diebstahls, gefährlicher Körperverletzung, Körperverletzung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte ins Gefängnis.

Eine Polizistin, die privat unterwegs war, hatte am Tattag zufällig beobachtet, wie der Angeklagte aus der Auslage vor einem Freisinger Supermarkt eine Orange stahl. Sie sprach den 61-Jährigen an und bat ihn "höflich, die Orange zurückzulegen", sagte die junge Frau als Zeugin aus. Der Angeklagte, der offenbar unter massiven Alkoholproblemen leidet und vor der Tat mehrere Flaschen Sekt getrunken hatte, weigerte sich und schlug mit der Krücke nach der Polizistin, die aber noch ausweichen konnte. Als ein weiterer Mann dazu kam, schlug der 61-Jährige ihm mit der Krücke auf den Arm. Der Mann trug ein Hämatom davon. "Die Krücke hatte eine richtige Delle", so die Polizistin. Sie rief schließlich eine Polizeistreife, die den Angeklagten ein paar Minuten später in der Freisinger Innenstadt antraf und nach seinem Ausweis fragte. Er reagierte nicht und ging weiter. Als die beiden Beamten ihm zur Sicherheit die Krücken abnahmen und seine Armen ergriffen, leistete er erneut Widerstand und schlug mit den Händen um sich, wie einer der Polizisten dem Gericht sagte. Als die Beamten ihn dingfest machen und mit zur Wache nehmen wollten, kam es zu einem Gerangel, bei dem der korpulente, 95 Kilogramm schwere Angeklagte umfiel, eine Polizistin mitriss und auf ihr Bein fiel. Dabei zog sie sich eine Schürfwunde zu.

Der Diebstahl der Orange, die von der Polizei ohnehin dem Supermarkt zurückgegeben wurde, sei "eine Bagatelle", sagte der Richter. Und die Opfer seien zwar nur leicht verletzt worden, "aber das ist nur Zufall". Der 61-jährige Freisinger sei in der Vergangenheit immer wieder durch Gewalttatenaufgefallen und einschlägig vorbestraft: "Sein Leben ist gekennzeichnet von Delinquenz." Zudem habe der ledige, kinderlose Mann "keinen Beruf, keine familiäre Bindung - er hängt in der Luft". Es gebe also keinen Anlass, die Strafe zur Bewährung auszusetzen, so wie der Pflichtverteidiger beantragt hatte.

Freilich wusste dieser auch, dass sich sein Mandant alles andere als geschickt angestellt hatte. Im Büro des Anwalts hatte er die Taten offenbar vollständig eingeräumt und auch einen Brief ans Gericht geschrieben, in dem er sich für "die Dummheit" entschuldigte. Auch in der Verhandlung entschuldigte er sich auf sanften Druck seines Verteidigers bei den Beamten und räumte die Tatvorwürfe ein - ehe er berichtete, eigentlich nur zur Drohung mit den Krücken gefuchtelt und gar nichts gemacht zu haben. Die Polizistin habe ihn zu Boden gerissen und sei "selbst schuld, dass sie verletzt wurde", sagte der Angeklagte, ehe sein Verteidiger verzweifelt murmelte: "Ganz falscher Text." Dann gab der Angeklagte an, wegen seiner Alkoholprobleme bereits bei der Beratungsstelle Prop gewesen zu sein und weitere Termine ausgemacht zu haben, behauptete andererseits aber, "eigentlich nie" Alkohol zu trinken. Der Staatsanwalt bezeichnete den Auftritt des 61-Jährigen, der bei der Polizei übrigens keinen Alkoholtest machen konnte, weil er es nicht schaffte, lange genug ins Röhrchen zu pusten, als "total wirr". Damit konnte er auch nicht punkten.

© SZ vom 04.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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