Flüchtlinge:Endlich unentbehrlich

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Hier seid ihr willkommen: Ramin Mahbobi aus Afghanistan (rechts) begrüßt zwei Landsleute im Erdinger "Camp Shelterschleife". (Foto: Renate Schmidt)

Erdinger Flüchtlinge sind dankbar, im Warteraum Asyl helfen zu dürfen. Ihre Mitarbeit wird dringend gebraucht

Von Sebastian Fischer, Erding

Der Rucksack von Hassan Abdul Rahim sieht aus, als würde er gleich platzen. Doch der schmächtige Mann trägt ihn täglich auf seinem Rücken, in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag bis 5 Uhr morgens. So lange hat Abdul Rahim im Warteraum Asyl geholfen, Flüchtlinge willkommen zu heißen. Hat ihnen in ihrer Landessprache erklärt, wo sie sind und hat kostenlose Telefonkarten aus seinem Rucksack verschenkt. 480 Stück bislang, sagt er: "Ich bin hier, um meine Hilfe anzubieten. Denn ich weiß, was die Flüchtlinge brauchen." Er ist selbst ein Flüchtling.

Abdul Rahim, 35, ist vor zwei Jahren und vier Monaten mit seiner Frau, zwei Söhnen und einer Tochter aus Burkina Faso geflohen, seitdem läuft sein Antrag auf Asyl. Er ist einer von 15 Asylbewerbern, die mit der Flüchtlingshilfe Erding im Welcome-Center des Warteraums am Fliegerhorstgelände Aufgaben übernehmen, die sonst niemand wahrnehmen kann. Übersetzen, Erfahrungen austauschen, überzeugen: Das hier ist wirklich Deutschland, hier geht es bald weiter, hier ist es sicher.

Jüngst wurden in Deutschland Stimmen laut, die - vor zwei Wochen von der Bühne der Erdinger Stadthalle beim CSU-Kongress gepoltert, zum Beispiel - auch schon mal so klangen: Flüchtlinge dürften auf gar keinen Fall "nutzlos" herumsitzen. Seit der Betrieb im Warteraum angelaufen ist, wird dort das Gegenteil bewiesen.

Abdul Rahim, der mehrere Sprachen spricht, unter anderem fließend arabisch und englisch, würde gerne arbeiten, doch er darf nicht. Genauso geht es dem Ghanaer Kofi Charles, 27, oder Ibrahim Takruri, 35, aus Syrien. Sie alle haben nicht lange gezögert, als Christina Hundhammer von der Flüchtlingshilfe in den Erdinger Unterkünften fragte, wer im Warteraum übersetzen helfen könne, unentgeltlich natürlich. Andere hatten sich selbst gemeldet. Rahmin Mahbobi, 18, lernt im zweiten Jahr an der Erdinger Berufsschule, spricht deutsch und mehrere afghanische Sprachen. Er war am Montag und Mittwoch im Camp, am Freitag will er wieder hin. Er sagt: "Ich helfe gerne."

Flüchtlingshelferin Hundhammer hat gemeinsam mit dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) mittlerweile eine Art Shuttle organisiert, der die Flüchtlinge zum Fliegerhorst bringt. "Sie sind müde, aber sie strahlen", sagt sie. "Denn sie übernehmen eine Aufgabe, die alle wertschätzen. Sie werden gebraucht." Ihre Aufgabe ist ja weit mehr als eine Beschäftigungstherapie.

Zwar hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) für die offizielle Registrierung eigene Dolmetscher. Doch das informelle Übersetzen übernehmen etwa 25 Flüchtlingshelfer - und zu einem großen Teil die Flüchtlinge selbst. Den ersten Asylsuchenden, die am Montag im Camp ankamen, erklärte Ibrahim Takruri, dass sie sich bedenkenlos vom DRK registrieren lassen können, auch wenn sie nach Dänemark weiterreisen wollen. Wenn er nicht da gewesen wäre, hätte ihnen das wohl niemand erklären können. Bamf-Aufbauleiter Heiko Werner bezieht die Flüchtlinge in die Ansprache an seine Mitarbeiter mit ein, sie bekommen einen Bundeswehrsoldaten zur Seite, um die Ankömmlinge zu ihren Sheltern zu begleiten und sie einzuweisen. Günther Geiger vom DRK nennt das Engagement "gigantisch". Mittlerweile, sagt Hundhammer, würden übrigens auch Campbewohner eifrig selbst mithelfen -obwohl sie ja in der Regel nur ein paar Stunden bleiben.

Hassan Abdul Rahim gehe in der Arbeit ganz besonders auf, sagt Hundhammer. Telefonkarten gibt es zwar auch im Camp zu kaufen, aber mit seinen kostenlosen Karten könnten die Ankömmlinge immerhin erste Nachrichten unmittelbar verschicken. Trotzdem müsse seine Gratisverteilung noch mit der Camp-Leitung abgestimmt werden. Auch die Schichtpläne will sie überarbeiten, damit nicht zu viele Helfer da sind, wenn mal nur wenige Busse ankommen. Es klingt, als wäre dies nun fast schon ihre Sorge: dass die Flüchtlinge zu viel helfen.

© SZ vom 23.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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