Stadt Erding:Das "Jahrhundertgeschenk" ist eine Mammutaufgabe

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Auf dem ungefähr 350 Hektar großen Areal des Fliegerhorstes soll ein neuer Stadtteil für 6500 Menschen entstehen. Zumindest nach der Planung der Stadt Erding. (Foto: Architekten Hähnig-Gemmeke)

Der Informationsabend zur geplanten Konversion des Fliegerhorstes interessiert mehr Bürger als erwartet. Die Erdinger haben einige Fragen, aber auch Kritikpunkte. Doch von konkreten Planungen ist man noch weit entfernt, betont Referent Professor Alain Thierstein. Es brauche vor allem eins: Durchhaltevermögen.

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Wie es mit dem Fliegerhorst weitergeht, hat Mittwochabend mehr Erdinger interessiert, als die Stadt angenommen hat. Da im Foyer des Museums Erding nur eine begrenzte Personenzahl Platz hat, mussten einige auf den ersten Teil der Informations-und Bürgerbeteiligungsreihe "Vom Fliegerhorst zum Zukunftsquartier: Erdings Chancen und Aufgaben" verzichten. Die, die da waren, hatten einige Fragen und kritische Anmerkungen. Zum Beispiel, dass die vorhandene Natur auf dem Areal stärker erhalten bleiben soll, dass man weniger auf Straßen, dafür mehr auf den öffentlichen Nahverkehr und E-Mobilität setzen soll. Aber auch die Frage, wer vor allem den Grunderwerb bezahlen soll, wurde gestellt. Wer nicht dabei sein konnte, hat bald die Chance, den gesamten Abend als Stream auf der Homepage der Stadt anzusehen.

Im Mittelpunkt des Abends stand Alain Thierstein, Professor für Raumplanung an der TU München. Mit seinen Studenten und Studentinnen begleitet er seit Jahren die "städtebauliche Herausforderung, die es wahrscheinlich so im süddeutschen Raum nicht noch mal gibt", so Christian Famira-Parcsetich von der Stadtentwicklung. Mehr als 350 Hektar, die heute noch Bundeswehr-Sperrgebiet sind, sollen - wenn alles wie geplant verläuft - 2025 in das Eigentum der Stadt Erding kommen. Um die Bürger in den Prozess der Umwandlung einzubinden, wurde unter anderem jetzt eine sechsteilige Vortragsreihe gestartet. "Bürger, Politik und Fachwelt sollen zusammengebracht werden, um gemeinsam einen Stadtteil zu entwickeln, der vielleicht sogar neue Maßstäbe setzt." Es gebe Lösungen zu finden, für Fragen, die man vielleicht jetzt noch gar nicht habe, die man aber vielleicht in der Zukunft haben werde, sagte Famira-Parcsetich.

Die Zukunft beginne immer heute, sagte Professor Alain Thierstein

Die Zukunft beginne aber immer heute, sagte Professor Alain Thierstein. Es sei vielleicht einmal in 50 Jahren, dass eine Kommune überhaupt die Chance bekomme, ein solches Areal zu konvertieren, ein "Jahrhundertgeschenk", das aber eine "Mammutaufgabe" nach sich ziehe. Zumal man über eine Fläche rede, auf der viele noch nie gewesen seien. Und wohl auch die nächste Zeit bis zum Abzug der Luftwaffe nicht sein werden, da die derzeitige Bedrohungslage in Europa keine öffentlichen Besichtigungstermine erlaubt. Erding sei ein Wachstumsraum und deshalb könnten sich eigentlich alle zurücklehnen und sagen: Hey, kein Problem, die Fläche geht weg. Da müsse man gar nichts tun, einfach nach 08/15 alles verscherbeln. Das sei aber keine Lösung, um die Zukunft bewältigen zu können, sagte Thierstein.

Im Bereich des heutigen Haupteingangs des Fliegerhorstes ist der neue Erdinger Bahnhof geplant. Mit zwei S-Bahnsteigen und einem Regionalbahnsteig. Auf dem Vorplatz ist ein Busbahnhof mit 16 Stellplätzen vorgesehen. (Foto: Gerhard Wilhelm (oh))

Eines der wichtigsten Elemente sei die Erschließung des neuen Stadtteils. Dazu soll der alte S-Bahnhof verlegt werden und an die Stelle des heutigen Eingangs des Fliegerhorstes rücken. Eine Schlüsselrolle spiele der Erdinger Ringschluss und die Walpertskirchener Spange, die Erding künftig einerseits an den Flughafen anbinde, andererseits Richtung Osten über Freilassing bis Wien und weiter. Der Ringschluss bewirke nach Berechnungen eine Verbesserung der verkehrlichen Erreichbarkeit der Stadt um 64 Prozent, wie Alain Thierstein sagte. "Das ist in der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen Entwicklung einer der zentralen Entscheidungsfaktoren. Wo möchte man wohnen, wo arbeiten." Zumal der Flughafen inzwischen ein großes regionales Zentrum geworden sei, nicht mehr nur noch ein Flughafen. Und damit quasi ein Konkurrent.

Je früher man mit der eigenen Fläche argumentieren könne, umso interessanter werde man für Investoren. Dennoch dürfe man nicht zu schnell entscheiden, sondern müsse abwarten, bis man die eigene beste Lösung habe. Auch, weil sich die Gesellschaft immer verändere, zum Beispiel bei der Demografie, bei der Mobilität. Und die Corona-Pandemie habe Veränderungen in der Arbeitswelt aufgezeigt, man wolle nicht mehr überwiegend mit dem Auto zur Arbeit fahren, man spreche deshalb heute von "multimodaler Mobilität". Wenn man diese anbieten könne, würden viele sagen: da gehe ich hin.

Für die besten Lösungen benötige man viel Durchhaltevermögen. "Man muss es schlau machen, es gut machen für die nächsten Generationen", sagte Thierstein. Dafür müsse man auch mal den Mut haben, Nein zu sagen. Dazu komme, dass sich die Rahmenbedingungen jetzt noch mal verändert haben, unter anderem durch die Energiekrise. Der neue Stadtteil dürfe nicht isoliert gesehen werden, sondern in Zusammenhang mit den vorhandenen.

Ein leeres Unteroffiziersheim auf dem Gelände des Fliegerhorsts Erding. (Foto: Renate Schmidt)

Konkrete Planungen könne es deshalb laut dem Professor für Raumplanung derzeit nicht geben, aber Ideen, Vorstellungen, Wünsche, damit die Transformation, die über Jahrzehnte gehen werde, vollzogen werden könne. Wie sie auch der Siegerentwurf des Planungswettbewerbs vom Büro Hähnig-Gemmeke zeige. Ein Prozess, den die Stadt nicht alleine stemmen könne, wie Alain Thierstein sagte und dabei auf die Unterstützung durch die Regierung von Oberbayern hofft. Die große Herausforderungen seien Dekarbonisierung (weniger CO₂), Demografie, Digitalisierung, Deglobalisierung und Durchhaltevermögen. Bei der Konversion des Fliegerhorstes sei man derzeit aber ganz am Anfang der Planung, worauf auch in der anschließenden Fragerunde immer wieder hingewiesen wurde. "Planung heißt Kompromisse machen", sagte Professor Thierstein.

Es werde keine "astronomische Summe", die für das Areal verlangt werde, hieß es

Und deshalb wolle man unter anderem durch die Vorträge die Ideen und auch Kritiken der Erdinger einfangen, sagte der Leiter der Stadtentwicklung, Famira-Parcsetich. Bei den Fragen der Bürger drehte es sich vor allem um zwei Themen: es wurde der Erhalt der Natur und vor allem vieler alter Bäume auf dem Areal gefordert, vieles werde einfach "platt gemacht". Die Natur komme im Siegerwettbewerb zu kurz. Auch etliche Mobilitätsfragen tauchten auf, ob man nicht verstärkt auf E-Mobilität und alternative Verkehrsmittel wie Carsharing und selbstfahrende Fahrzeuge setzen könne (siehe unten Fortsetzung Vortragsreihe). Die Anbindung primär über die Anton-Bruckner-Straße wurde ebenfalls kritisiert und dass man im neuen Stadtteil Tiefgaragen nicht wolle.

Gefragt wurde auch, wie wahrscheinlich es sei, dass die Stadt überhaupt das Areal erwerben kann. Dass es nicht so komme, dafür gebe es nur ein "geringes Risiko", war die Antwort. Über den möglichen Preis wollte niemand was sagen, es werde aber keine "astronomische Summe" sein. Derzeit sei man erst bei der Wertermittlung.

Ein alltägliches Bild auf dem Gelände des Erdinger Fliegerhorstes: Rehe. Es gibt einige Tierarten, die sich dort ausgebreitet haben. (Foto: Stephan Görlich)

Die Vortragsreihe wird am Mittwoch, 23. November, mit dem Thema "Wohnen ohne eigenes Auto - Ansätze für eine zukunftsfähige Mobilität" fortgesetzt. Noch in diesem Jahr folgt am 14. Dezember "Bauen als Kreislauf - aus Alt wird Neu".

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