Fest mit Fachvorträgen:Vom Bürgerschreck zum guten Miteinander

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Die Frauenforensik in Taufkirchen feiert 20-jähriges Gründungsjubiläum. Nach turbulenten Anfangsjahren haben sich Bayerns einzige Klinik für psychisch kranke Straftäterinnen und die Gemeindebewohner arrangiert

Von Thomas Jordan, Taufkirchen

Platzmangel, Ausbrüche und die Angst vor Sexualstraftätern - die Anfänge der forensischen Psychiatrie in Taufkirchen im Jahr 1998 waren alles andere als einfach. 20 Jahre später ist die Klinik laut Bürgermeister Franz Hofstetter (CSU) "im Ort angekommen". An diesem Freitag feiert die Einrichtung ihr Jubiläum mit Fest- und Fachvorträgen zur Psychiatrie und zur Geschichte der Einrichtung. Heute werden dort 174 ausschließlich weibliche Straftäterinnen stationär versorgt, die aufgrund einer psychischen Krankheit nicht im Gefängnis untergebracht sind. Manche von ihnen stehen als Freigängerinnen in Geschäften im Landkreis Erding an der Theke, bedienen in Cafés oder sortieren Regale ein.

Nach einem derart friedlichen Miteinander hatte es in den ersten Jahren nicht ausgesehen. Denn schon bald nach der Gründung der Frauenforensik im Jahr 1998, die ursprünglich nur 36 Betten auf zwei Stationen vorsah, kamen Platzprobleme auf. Schon 2002 waren es 62 Patientinnen, 2004 bereits 104. "Man hat ständig gestopselt", sagt Matthias Dose. Der Psychiater war Gründungsdirektor der Taufkirchener Forensik und bis 2014 deren Ärztlicher Leiter. In den Zimmern wurden die Schränke herausgeräumt, um mehr Patientinnen unterzubringen, aus dem alten Personalwohnheim wurde eine weitere Forensik-Station. Die Raumnot erleichterte auch immer wieder Ausbrüche. Innerhalb weniger Monate konnten im Frühjahr 1999 drei Patientinnen aus der Forensik flüchten. Dabei kam es zu beinahe filmreifen Coups. So seien nachträglich Panzerglasscheiben in der Station an der Bräuhausstraße eingesetzt worden, um die Fenster ausbruchssicher zu machen, erzählt Matthias Dose. Durch einen Fehler der Baufirma konnte in einem der Zimmer die Panzerglasscheibe von innen herausgeschoben werden. "Die Patientinnen haben sich dann mit einem Bettlaken aus dem ersten Stock abgeseilt", sagt Dose.

Auch der begrünte Innenhof ist Teil der vielfältigen therapeutischen Angebote, die es im Neubau gibt - hier mit der Forensik-Leiterin Verena Klein. (Foto: Renate Schmidt)

Mit der Forderung nach einem Neubau, um der Überbelegung abzuhelfen, ging es dann allerdings erst richtig los mit den Problemen. "Dann müsst ihr auch 30 Behandlungsplätze für männliche Straftäter schaffen", habe es von Seiten des bayerischen Sozialministeriums geheißen, sagt Dose und fügt hinzu: "Diese Geschichte hat zu erheblicher Verunsicherung bei den Gemeindebürgern geführt." Auf einmal stand im Jahr 2003 die Angst im Raum, dass verurteilte Sexualstraftäter in die oberbayerische Gemeinde kommen. Eine Bürgerinitiative sammelte mehr als 2000 Unterschriften gegen die Öffnung der Taufkirchener Forensik für Männer. Zwei Gründe sind für den ehemaligen ärztlichen Leiter in der Rückschau wichtig, damit sich die Situation in den Folgejahren entspannen und es zu einem neuen Miteinander zwischen Gemeinde und Psychiatrie kommen konnte. Zum einen wurde auf Betreiben von Klinikum und Gemeinde 2003 ein Forensik-Beirat gegründet, bei dem auch Vertreter der Bürgerinitative beteiligt waren und ein Dialogprozess beginnen konnte.

Außerdem spitzte sich die räumliche Enge immer stärker zu, so dass mehrere Patientinnen der Einrichtung in einer Petition an den bayerischen Landtag einen Neubau forderten. Weil gleichzeitig immer mehr psychisch kranke Straftäterinnen nach Taufkirchen verlegt wurden, reichten schließlich die Belegungszahlen aus, um im Jahr 2007 einen Neubau mit fünf forensischen Stationen nur für Frauen zu beschließen. In dem rot-weißen Gebäude mit den hohen Mauern am hinteren Ende des Klinikparks, das heute die Forensik beheimatet, wurden "sowohl das Sicherheits- als auch das Therapiekonzept verbessert", sagt Verena Klein, die seit 2014 die Einrichtung leitet. Es gibt nun Sicherheitsschleusen und mehr Kameras. Der "Hauptsicherheitsfaktor", wie es Klein nennt, ist im Taufkirchener Konzept aber die "therapeutische Anbindung". Dazu gebe es für jede Patientin einen Bezugstherapeuten und eine Bezugspflegerin, die sie "in Krisen auffängt". Seit mehr als zehn Jahren sind keine Patientinnen mehr ausgebrochen. Heute gibt es dort ein breites kunsttherapeutisches Angebot. Statt sich abzuseilen wie früher, können die Patientinnen nun im begrünten Innenhof töpfern oder in der psychiatrieeigenen Musikband spielen.

© SZ vom 28.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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