Erinnerung an NS-Zeit:"Für mich war sie die Tante Friedl"

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Maria Theresia Gebhard (Mitte) sprach über die Ehrung ihrer Eltern als "Gerechte unter den Völkern" mit Roswitha Bendl und Eva Kolenda. (Foto: Renate Schmidt)

Alois und Maria Rauch haben die Jüdin Elfriede Seitz vor der Deportation ins KZ Theresienstadt gerettet. Nun berichtet ihre Tochter Maria Theresia Gebhard über das mutige Handeln ihrer Eltern während der NS-Zeit.

Von Tanja Kunesch, Erding

Still und überwältigt saß Maria Theresia Gebhard am Tisch, die zwei Säle im Gasthof Mayr-Wirt füllten sich allmählich. Am Montag berichtete sie im Gespräch mit Roswitha Bendl und Eva Kolenda vom Bündnis "Bunt statt Braun" über das mutige Handeln ihrer Eltern: Alois und Maria Rauch hatten während des Zweiten Weltkriegs zwei Jahre lang eine Jüdin bei sich in Grucking versteckt, um sie vor der Deportation ins KZ Theresienstadt zu bewahren. Für diese mutige Handlung wurde dem Ehepaar Rauch am 24. Juni vergangenen Jahres posthum der Ehrentitel "Gerechte unter den Völkern" verliehen. Ihre Namen wurden in Jerusalem an der Ehrenwand im Garten der Gerechten verewigt.

Seit 1963 wird der Ehrentitel von der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem an nichtjüdische Menschen verliehen, die während der NS-Zeit ihr Leben einsetzten, um Juden vor der Ermordung oder Deportation in ein Todeslager zu retten, ohne eine Gegenleistung dafür zu verlangen. Bis heute wurden25 000 Menschen aus 49 Ländern ausgezeichnet, darunter circa 550 Deutsche. Die Tochter des Ehepaars Rauch, Maria Theresia Gebhard, nahm die Urkunde und Medaille vom israelischen Generalkonsul Dan Shaham entgegen. "Bei der Ehrung hätte ich beinahe geweint. Es war sehr ergreifend", sagte Gebhard.

Alois und Maria Rauch haben die Jüdin Elfriede Seitz vor der Deportation ins KZ Theresienstadt gerettet. (Foto: Renate Schmidt)

Mehr als 70 Jahre später erzählte die 84-jährige erstmals öffentlich von der heldenhaften Tat ihrer Eltern. Gebhard war 13 Jahre alt, als Elfriede Seitz im April 1943 an ihre Tür klopfte. Ihr Vater Alois hatte Heinrich Seitz, Elfriedes Mann, im Ersten Weltkrieg kennengelernt und mit ihm Freundschaft geschlossen. Die Seitzens führten in München das Geschäft "Mode Seitz", das am 9. November 1938 in der Reichspogromnacht völlig zerstört wurde, zwei Monate später mussten sie aus ihrer Wohnung ausziehen. Ihre Tochter Lilli Seitz konnte 1939 nach Amerika auswandern. Nach dem Tod von Heinrich Seitz 1943 erhielt Elfriede den Bescheid über ihre Deportation ins KZ Theresienstadt. Übereilt packte sie ihre Sachen, hinterließ in der Wohnung einen Abschiedsbrief, in dem sie ihren Selbstmord ankündigte, und stand bei Familie Rauch vor der Tür, mit den Worten: "Wenn ihr mich nicht aufnehmt, muss ich in den Tod gehen".

Gebhard hat erst nach Kriegsende erfahren, wer Elfriede Seitz wirklich war, überall war sie nur als Frau Maier bekannt, die in München ausgebombt worden war und nun auf dem Land Zuflucht suchte. Zu dieser Zeit war das nichts ungewöhnliches, erklärte Gebhard. Niemand durfte Verdacht schöpfen. Nicht einmal die Kinder durften etwas ahnen, da auch sie in der Schule einer "reinen Gehirnwäsche" unterzogen wurden und dazu aufgefordert waren, ihre Eltern hinzuhängen, sagte Gebhard. "Wir alle waren in großer Gefahr, und meine Eltern hatten sicher große Angst, darüber haben sie aber nicht geredet. Es erforderte also unheimlichen Mut, eine Jüdin zu verstecken."

Alois und Maria Rauch hatten einen Gasthof, den nun ihr Ur-Enkel Rudolf Rauch weiterführt. Wie alle Gastwirte war Rauch in der Partei, und wurde so weniger verdächtigt, eine Jüdin zu verstecken. Seitz war damals 63 Jahre als und wurde wie ein Mitglied der Familie angesehen: "Für mich war sie die Tante Friedl, ich für sie die Mädi", erinnerte sich Gebhard.

Nach Kriegsende erfuhr Seitz, dass 17 ihrer Angehörigen ums Leben gekommen waren. 1946 reiste sie zu ihrer Tochter nach Amerika aus. Der Kontakt währte noch lange, fast jedes Jahr kam Seitz nach Deutschland. 1963 riss die Verbindung ab, bis heute ist es Gebhard ein Rätsel, warum.

Nach der Ehrung hat sie erfahren, dass Seitz im Mai 1971 in Stög, Gemeinde Fischbachau, verstorben war und auf dem jüdischen Friedhof in der Ungererstraße in München beerdigt wurde. Vor kurzem hat sich nun der Enkel von Seitz, Harry Rose, aus den USA gemeldet, er habe im Internet von der Ehrung gelesen. "Ich hoffe, dass er irgendwann kommt und mit uns spricht. Das will ich schon noch erleben", sagte Gebhard aufgeregt.

Sie hofft, durch diesen Bericht vielleicht einen kleinen Beitrag geleistet zu haben. "Ehrlich gesagt war ich wahnsinnig aufgeregt. Ich bekomme immer noch ein Gruseln, wenn ich daran denke." Dass die Handlung des Ehepaars Rauch höchsten Respekt verdient, betonte auch Landrat Martin Bayerstorfer (CSU), der die Schirmherrschaft der Veranstaltung übernommen hatte. "Es darf in Deutschland nie mehr wegen Hautfarbe, Glauben oder Herkunft ausgegrenzt werden", mahnte er. Auch Kolenda appellierte zum Schluss an die Gäste: "Es hat sich nicht viel geändert, es passt auch in unsere Zeit. Ich hoffe, dass wir wach bleiben und ein Ohr haben für Menschen, die zu uns kommen."

© SZ vom 25.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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