Erdings ältestes Geschäft:Munition im Modehaus

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Früher hatte das Modehaus Kraus alles im Angebot, was seinen Besitzern wichtig war - etwa Instrumentensaiten oder Tabak. Inzwischen ist das Unternehmen der älteste Betrieb in Erding.

Hannah Beitzer

Einst verhalf die Zunft der Loderer Erding zu überregionaler Bedeutung, heute gründet sich der überdurchschnittlich hohe Bekanntheitsgrad der Stadt auf Flughafen, Weißbier und Therme. Das Modehaus Kraus am Schrannenplatz, 1642 als "Musterlager mit Verkaufsstelle" gegründet und seit 178 Jahren in Familienbesitz, hat alle politischen und wirtschaftlichen Umschwünge überdauert und ist unter der Leitung von Hermann Kraus und Juniorchef Wolfgang im 21. Jahrhundert angekommen.

Das Modehaus Kraus im Jahr 1957: Seit 178 Jahren ist das Unternehmen in Familienbesitz, seit 1965 wird es von Hermann Kraus geführt. (Foto: Region.ERD)

Von Samstag, 26. Juni, an ist das Modehaus als ältester Betrieb in der Ausstellung über Erdinger Unternehmen im neu eröffneten Erweiterungsbau des Museums vertreten. Den Vergleich mit modernen Unternehmen wie Amadeus braucht es allein wegen seiner wechselvollen Geschichte nicht zu scheuen.

"Erding war im 17. Jahrhundert für seine Lodenstoffe berühmt, da entstand irgendwann der Bedarf nach einem Musterlager", berichtet Wolfgang Kraus über die Hintergründe der Eröffnung. Konfektionsmode, also fertig genähte Kleider, habe es damals noch nicht gegeben. Erst nach dem Ersten Weltkrieg sei diese in den Werbebroschüren aufgetaucht.

"Anfang des 20. Jahrhunderts gab es zunächst Konfektionsmode für Herren", ergänzt sein Vater Hermann Kraus, der das Modehaus in der siebten Generation führt. Die Frauen hätten sich noch bis in die 50er Jahre die Kleider von einer Schneiderin anfertigen lassen.

Früher sei das heutige Modehaus Kraus weit mehr gewesen als ein Kleidergeschäft. Ein richtiges Kaufhaus eben. "Es gab dort alles mögliche", sagt Hermann Kraus. Seine Vorfahren hätten mit Dingen gehandelt, die ihnen selbst wichtig waren. Instrumentensaiten etwa. "Mein Urgroßvater Max Ulrich Kraus war Mitbegründer des Erdinger Zitherklubs", erzählt Kraus. Auch Tabakwaren gab es. "Mein Vater hat gerne Zigarren geraucht", erinnert sich der heutige Inhaber.

Außerdem seien seine Ahnen leidenschaftliche Jäger gewesen, deswegen verkaufte man sogar Munition. Daneben gab es noch so genannte Kolonialwaren, also Produkte aus Übersee. "Wir waren ja lange Zeit eines von sehr wenigen Kaufhäusern im Landkreis", begründet Wolfgang Kraus die Vielfalt.

Erst Hermann Kraus machte Schluss mit dem bunten Allerlei und konzentrierte sich fortan ganz auf die Mode, als er 1965 nach seiner Lehrzeit in fremden Betrieben in das elterliche Unternehmen zurückkehrte. Seit einigen Jahren verkauft das Modehaus nur noch Damenkleidung.

Kraus nahm in den 60er Jahren auch rein äußerlich eine Modernisierung vor. Er ließ das Gebäude rundum verglasen. "Das war damals der Zeitgeist, man wollte große Schaufenster", erinnert er sich. Das Landratsamt sei skeptisch gewesen. Die Fensterfront störe das historische Bild der Altstadt, hieß es. "Aber wir wollten fortschrittlich sein", sagt der Senior.

Heute findet auch er selbst wieder kleinere Schaufenster schöner, weswegen eines der ersten Projekte nach dem Einstieg seines Sohnes ins Familienunternehmen im Jahr 2005 ein erneuter Umbau war. Statt einer großen Front gibt es nun wieder kleine Fenstereinheiten.

"Mit dem durchgehenden Schaufenster haben wir uns gar nicht von den großen Kaufhäusern unterschieden", begründet Wolfgang Kraus das neue Konzept. "Da hat man glatt noch eine Rolltreppe und mehrere Stockwerke erwartet." Es gelte jedoch, die Besonderheit eines kleinen, familiären Ladens schon von außen sichtbar zu machen.

Wechselnde Schaufenstermoden sind nicht die einzige Veränderung, die das Modehaus durchlebte. "In meiner Kindheit war unsere Kundschaft sehr ländlich geprägt", erzählt Hermann Kraus. "Die Bauern aus der Umgebung kamen donnerstags zum Markt, die Bäuerinnen kauften dann ihre Kleider." Heute kommen die "Auswärtigen" aus der Landeshauptstadt München. "Viele Frauen wünschen sich eine gute Beratung, die kriegen sie bei uns", erklärt Kraus. "Sie sagen dann: hach, bei uns in München gibt es so etwas gar nicht mehr."

Den Service sieht die Familie Kraus als wichtigstes Alleinstellungsmerkmal der inhabergeführten Geschäfte. "Wir haben viele Stammkunden, die schätzen die familiäre Atmosphäre und dass sie mit Namen angesprochen werden", sagt Hermann Kraus. "Sie kriegen bei uns selbstverständlich die Kleider zum Anprobieren mit nach Hause, das hat man bei einem Filialisten nicht." Wegen dieser Art der Kundenbindung fürchtet er auch nicht die Konkurrenz der großen Ketten.

Als besondere Belohnung für ihre Treue organisiert er für seine Kundinnen seit 20 Jahren Kulturreisen - anfangs Theaterfahrten nach München. Inzwischen waren sie schon in Budapest, London, Moskau, Petersburg und Rom.

© SZ vom 14.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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