Erdinger Volksmusiktage:"Volksmusik und Jazz haben viele Berührungspunkte"

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Volksmusik? Volkstümliche Musik? Alpenländische Musik? Zum Start der Erdinger Volksmusiktage: Kreismusikschulleiter Reinhard Loechle klärt auf.

Florian Tempel

Was ist denn eigentlich Volksmusik? Aus Anlass der ersten Erdinger Volksmusiktage (www.erding.de), hat die Landkreis SZ bei Reinhard Loechle nachgefragt. Der Leiter der Kreismusikschule Erding war 1965 der erste und einzige Student, der am Richard-Strauss-Konservatorium München den damals neu eingeführten Studiengang Volksmusik als Hauptfach belegte.

Studierter Volksmusiker: Kreismusikschulleiter Reinhard Loechle. (Foto: Bauersachs Peter)

SZ: Den wiederkehrenden Hinweis, dass Volksmusik nichts mit volkstümlicher Musikantenstadl-Musik zu tun hat, haben wir mittlerweile verinnerlicht. Aber er sagt nur sehr wenig aus. Können Sie uns eine taugliche Definition von Volksmusik geben?

Loechle: Manche meinen, den Begriff Volksmusik gebe es schon immer oder mindestens seit 200 Jahren. Er ist aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden. Früher war Volksmusik schlicht Gebrauchsmusik. Man hat die Musik zu jeder Gelegenheit gemacht und es gab keine Bezeichnung dafür.

SZ: Gebrauchsmusik von wem?

Loechle: In erster Linie von Laienmusikanten, die ihr Instrument auch nicht an einer Musikschule gelernt haben, weil es das noch nicht gab. Sie haben ihre Musik von Generation zu Generation übertragen, oft auch ohne Noten, sondern nach Gehör.

SZ: Musik, die tradiert worden ist, also traditionelle Musik?

Loechle: Eine traditionelle Musik, die aber nie auf irgendeine Anwendung beschränkt war, wie man das heute von der Volksmusik glaubt. Der Begriff Gebrauchsmusik drückt es aus: Man hat zum Tanz gespielt, zu Festen, man hat im Wirtshaus aufgespielt. Es war ein musikalisches Lebensmittel.

SZ: Wie heißt es richtig: Bairische Volksmusik oder alpenländische Volksmusik?

Loechle: Auch alpenländische Volksmusik ist ein Begriff, der erst nach dem Zweiten Weltkrieg erfunden worden ist. Da haben sich dann zum Beispiel die Niederbayern und Oberpfälzer gewehrt.

SZ: Zurecht, denn die sind weit weg von den Alpen.

Loechle: Die verschiedenen Regionen haben eben ihre Eigenheiten. Zum Beispiel gibt es den Zwiefachen in Südtirol eben nicht. Den gibt es vorwiegend in Niederbayern, im Bayerischen Wald und in der Oberpfalz. Deshalb kann man nicht wirklich von der alpenländischen Volksmusik reden.

SZ: Was macht denn das Wesentliche der regionalen Volksmusik aus?

Loechle: Das Geheimnis der regionalen Volksmusik liegt in erster Linie in der relativ einfachen Spielweise. Sie ist auf wenige Tonarten begrenzt und die Stücke sind nicht allzu schwer. So dass sie eigentlich jeder erlernen kann. Derjenige, der Volksmusik machen will, muss sich natürlich ernsthaft mit einem Instrument auseinandersetzen. Aber nach wenigen Jahren ist er in der Lage, in Volksmusikgruppe mitzuspielen.

SZ: Ist Volksmusik zu machen auch eine bestimmte Art und Haltung zu musizieren. So wie im Jazz, in all seinen so unterschiedlichen Spielarten immer Improvisation der gemeinsame Nenner ist?

Loechle: Bei Volksmusik und Jazz gibt es ganz viele Berührungspunkte. Man ist leider etwas davon abgekommen, in der Volksmusik zu improvisieren. Das ist sehr, sehr schade und dem sollte unbedingt gegengesteuert werden.

SZ: Woran liegt das?

Loechle: Es liegt vielleicht an der Vermittlung heutzutage. Sie geschieht ja in erster Linie durch Musiklehrer und feststehende Lehrwerke.

SZ: Zum Beispiel an der Kreismusikschule.

Loechle: Bei uns ist es schon so, dass wir einen Schwerpunkt auf Improvisation setzen. Weil wir wissen, dass es da einen erheblichen Nachholbedarf gibt. Improvisation gehört einfach zu jedem Instrument dazu. Das macht ja das Kreative aus.

SZ: Da Volksmusik ursprünglich tradiert und nicht aufgeschrieben wurde, mussten Volksmusiker immer die Fähigkeit haben, Melodien aufzunehmen und dann selber etwas daraus zu machen?

Loechle: Es ist doch wunderbar, wenn welche zusammenspielen, die keine Noten brauchen, die den Takt ausmachen und eine Anfangsmelodie und einfach drauf los spielen. Das ist das, was es ausmacht. Wir müssen wieder ein bisschen zurück zu den Wurzeln kommen.

SZ: Wie sieht es im Landkreis Erding aus, wie viele Volksmusikgruppen gibt es hier?

Loechle: Als wir 1971 mit der Musikschule angefangen haben, gab es ganz wenige Gruppen, höchstens zehn. Mit Müh und Not konnte damals eine Veranstaltung besetzt werden. Momentan gibt es über 50 Gruppen im Landkreis. Damit stehen wir bayernweit mit an der Spitze.

SZ: Wo sollte man bei Volksmusiktagen auf alle Fälle hingehen, was sollte man nicht verpassen?

Loechle: Ich würde empfehlen, die Gottesdienste zu besuchen, und auf alle Fälle die Volksmusik im Bauernhausmuseum am Sonntagnachmittag.

© Süddeutsche Zeitung vom 11. Juni - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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