Erding:Wohltuende Auszeit für vierzig Kinder

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Die "Erdinger Hilfe für Tschernobyl" empfängt auch in diesem Jahr wieder ukrainische Mädchen und Jungen und bereitet ihnen schöne Sommerferien

Nadja Neqqache

Es war ein lauter und heftiger Knall, der die Bevölkerung der ukrainischen Stadt Prypjat in der Nacht des 26. April 1986 vor Schreck erstarren ließ. Seitdem ist dort nichts mehr, wie es einmal war. Tschernobyl steht für die größte Katastrophe der Geschichte in der Kernenergie-Nutzung: In dem ukrainischen Atomkraftwerk kam es zur Kernschmelze. Der Reaktor Block 4 explodierte, und radioaktiver Staub verbreitete sich in ganz Europa. Die Region ist bis heute unbewohnbar, Mensch und Natur kämpfen mit den Spätfolgen. Die Kinder, die dort aufwachsen, erleben nur selten, was Kindheit eigentlich bedeutet. Deshalb haben sich nur wenige Jahre nach der Katastrophe Menschen aus dem Landkreis Erding zusammengefunden und beschlossen, Kinder für Ferienaufenthalte nach Deutschland zu holen. Am 3. Juli kommen wieder 40 Kinder nach Erding.

Der Besuch in einem Indoor-Spielplatz gehört für die Kinder aus Tschernobyl zu jedem Aufenthalt in Erding, hier eine Gruppe bei einem früheren Aufenthalt in Erding. (Foto: Peter Bauersachs)

Für die Kinder und auch deren Eltern ist die Reise nach Deutschland eine tolle Gelegenheit, die Armut für einige Wochen zu vergessen", sagt Inge Forstmaier. Viele Jahre war sie Vorsitzende der Erdinger Hilfe für Tschernobyl-Kinder. Seit 1991 kommt jedes Jahr eine Gruppe für vier Wochen aus Korotkij, nur unweit vom Katastrophengebiet entfernt. "Wir bieten den Kindern ein buntes und spannendes Programm, schließlich sollen sie sich gerne daran erinnern", sagt Forstmaier. Während ihrer Zeit als Vorsitzende hat sie selbst jeden Sommer Kinder aufgenommen. "Im meinem Alter ist das jetzt aber nicht mehr so einfach", sagt die 75-Jährige.

Viel Geduld, Kraft und Verantwortung" müssten die Gasteltern aufbringen, sagt sie. Die Kinder, die nach Erding kommen, können kaum Deutsch. Die Gasteltern haben nur in den seltensten Fällen Russischkenntnisse. "Das muss dann mit Händen und Füßen gehen", sagt Forstmaier. Es sind aber auch immer zwei Dolmetscherinnen aus Russland dabei, die 24 Stunden erreichbar sind und im Notfall weiterhelfen. Ein heikles Thema sei die Finanzierung, sagt Forstmaier. "Der Verein braucht viel Geld, um Unkosten wie Busfahrten und Versicherungen für die Kinder zu bezahlen." Damit die Vereinskasse nicht leer wird, gehen die Mitglieder auf Wochenmärkte, verkaufen selbst gebackenen Kuchen, Kaffee und im Winter auch Glühwein. "Wir übernehmen Fahrtkosten und Versicherung, für die Verpflegung müssen jedoch die Gasteltern aufkommen", erklärt Forstmaier. Sehr dankbar ist der Verein vor allem den zahlreichen Institutionen, die helfen, für die Kindern eine aufregende Zeit zu gestalten. Ein Ausflug in den Bayernpark, der umsonst ist, ein kostenloser Besuch der Therme Erding und vier Wochen freien Eintritt in die Freibäder in Erding, Dorfen und Taufkirchen gehören dazu.

Um Heimweh und Einsamkeit vorzubeugen, werden die Acht- bis Vierzehnjährigen mindestens in Zweiergruppen untergebracht. "In den letzten Jahren ist es leider immer schwieriger geworden, Gasteltern zu finden", sagt Forstmaier. Vor einigen Jahren sei der Andrang noch so groß gewesen, dass oft schon mehr als hundert Kinder kommen konnten. "Wir mussten bisher zwar noch nie Kindern absagen, aber trotzdem müssen wir jedes Jahr darum bangen", beklagt Forstmaier. Als Grund für den Rückgang des Gastelternangebotes nennt sie den demografischen Wandel: "Immer mehr junge Frauen und Mütter sind wieder berufstätig, da ist es natürlich schwierig das zeitlich geregelt zu bekommen." Dennoch sind auch für dieses Jahr wieder genügend Familien gefunden worden.

© SZ vom 25.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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