Bildung:"Es geht nicht nur um den Kopf, sondern auch um Herz und Hand"

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"Deutschland ist nicht nur für Autos, sondern auch für Beethoven und Bach bekannt", sagt Musikschulleiter Peter Hackel. (Foto: Robert Michael/dpa)

Das Kultusministerium wird den Stundenplan an den Grundschulen überarbeiten. Als Folge werden wohl Stunden in den künstlerischen Fächern gekürzt. Im Landkreis Erding stößt das auf Unverständnis.

Von Lucas Rösel, Erding

Weil die deutschen Jugendlichen bei der letzten PISA-Studie verhältnismäßig schlecht abgeschnitten haben, soll eine Anpassung des Stundenplans in bayerischen Grundschulen die Grundlage für einen Umschwung bilden. Konkret soll es in Klasse eins bis vier eine zusätzliche Stunde Deutsch geben sowie in der ersten und vierten Jahrgangsstufe jeweils eine zusätzliche Stunde Mathematik.

Thomas Emrich, Schulleiter der Grundschule Dorfen am Mühlanger und Schulleitersprecher des BLLV-Kreisverbands Erding-Dorfen, sieht beim Lehrplan durchaus Handlungsbedarf: "Es muss etwas geschehen. Der Lehrplan, mit dem wir arbeiten, stammt aus dem Jahr 2000 und wurde 2014 überarbeitet. Das ist mittlerweile auch schon wieder zehn Jahre her. Das ist eine lange Zeit, in der sich wahnsinnig viel verändert hat." Ein Absinken des Leistungsniveaus sei schon seit Längerem erkennbar, die Lehrer und Lehrerinnen hätten jedoch nur einen sehr geringen Spielraum, da der Lehrplan sehr voll sei.

Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler) hatte im Januar mitgeteilt, dass die Schulen außerdem durch flexible Stundentafeln individuelle Schwerpunkte setzen können. "Durch die verpflichtenden Vorgaben schaffen wir mehr Zeit für Lesen, Schreiben, Rechnen", sagte Stolz. "Innerhalb dieses festen Rahmens bekommen die Schulen aber auch zusätzliche pädagogische Freiräume. Schließlich sind die Lehrkräfte die Profis vor Ort, die ihre Schülerinnen und Schüler am besten kennen."

Was nun aber auf keinen Fall passieren dürfe, so Thomas Emrich, sei, dass der musische Bereich gekürzt werde, da seien sich die Schulleiter und Schulleiterinnen im Landkreis einig: "Es darf nicht passieren, dass eine Stunde Musik zu einer Stunde Deutsch wird. Wir müssen uns Konzepte überlegen, damit der musische Bereich möglichst vollumfänglich erhalten bleibt. Wir meinen, dass Bildung ganzheitlich sein muss. Es geht eben nicht nur um den Kopf, sondern auch um Herz und Hand."

"Deutschland ist nicht nur für Autos, sondern auch für Beethoven und Bach bekannt"

Auch Peter Hackel, Schulleiter der Musikschule Erding, spricht sich für ein ganzheitliches Bildungskonzept aus: "Ich bin der Meinung, dass das Kreative in der Grundschule einen adäquaten Platz haben muss. Deutschland ist ja nicht nur für Autos, sondern auch für Beethoven und Bach bekannt." Vertreterinnen und Vertreter bayerischer Musikverbände hatten sich am Montag außerdem in einem offenen Brief an Ministerpräsident Söder und Kultusministerin Stolz gewandt, um gegen mögliche Kürzungen beim Musikunterricht zu protestieren. Darin heißt es: "Die vom Ministerium vorgelegte und vom Kabinett angenommene Verschlechterung für den Musikunterricht in den Grundschulen Bayerns ist für den Bayerischen Musikrat, für Fachdidaktiker, Musiklehrkräfte, Eltern und Musikverbände nicht hinnehmbar." Dies könne nicht die Lösung für die Probleme sein, welche die PISA-Studie aufzeige.

Michael Oberhofer, Schulleiter der Grund- und Mittelschule Isen sowie Kreisvorsitzender des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands, sieht Kürzungspotential vor allem beim Englischunterricht: "Jetzt ist genau das passiert, was zu erwarten war. Jeder Fachbereich schaut, dass er sich als nicht streichbar darstellt. Ich glaube, rein pragmatisch gesehen ist das, was man wirklich anfassen kann, der Englischunterricht."

Lehrermangel als Grundproblem

Oberhofer sieht das eigentliche Problem jedoch im strukturellen Lehrermangel: "Das ganz grundsätzliche Problem ist eigentlich, dass man von dem Ergebnis gar nicht so überrascht sein wird oder sein kann, weil es darin liegt, dass man zu wenig Lehrer hat. Das ist jedoch nichts Neues. Das weiß man seit geraumer Zeit." An den Schulen von Oberhofer und Emrich gibt es zwar momentan keine Kürzungen aufgrund von Lehrermangel. Die Personalknappheit mache sich aber immer wieder bemerkbar, sagen sie. So hätten in Dorfen nur 32 von 80 Kindern einen Platz im Vorbereitungskurs für das erste Schuljahr bekommen.

Oberhofer beklagt zudem, dass eine Differenzierung innerhalb der Schulklassen aufgrund von fehlenden Förderlehrkräften nicht möglich sei. So fehle es an Förderung für besonders gute Schüler sowie für diejenigen, die mit der normalen Lerngeschwindigkeit nicht mithalten könnten. Um dem entgegenzuwirken, müsse der Lehrerberuf deshalb wieder attraktiver werden. Eine wichtige Grundlage habe die Landesregierung mit der Angleichung der Besoldung für alle Lehrkräfte bereits geschaffen. Thomas Emrich spricht sich in diesem Zusammenhang außerdem für eine universelle Grundausbildung aus. So könnten Nachwuchskräfte flexibler eingesetzt werden. Außerdem müsse man aktiv Werbung für den Lehrerberuf machen und vermitteln, um was für einen tollen Job es sich handele.

Immer weniger Gute-Nacht-Geschichten und gesteigerter Medienkonsum

Einen Grund für das schlechte Abschneiden der Deutschen sieht Thomas Emrich im immer kleiner werdenden Sprachschatz der Kinder und Jugendlichen. Zum einen steige der Anteil von Schülern mit geringen oder gar keinen Deutschkenntnissen, zum anderen würden sich auch immer weniger Eltern für die Sprachbildung ihrer Kinder einsetzen: "Das fängt damit an, dass nur noch sehr selten vorgelesen wird." Problematisch sei auch der massiv gestiegene Medienkonsum: "Ein weiterer Punkt ist, dass wir eindeutig feststellen, dass unsere Kinder massiv reizüberflutet sind. Sie sind häufig nicht mehr in der Lage, aus den ganzen Angeboten herauszufiltern, was wichtig für sie ist. Die Kinder sind einfach voll, voll mit Informationen, voll mit Bildern und anderen Eindrücken. Damit sind viele Kinder überfordert."

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