Erding:Es werde licht

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Alte Bäume müssen weichen, damit die jungen groß werden können. Der Fichtenbestand im EbersbergerForst nimmt ab, Tannen werden mehr. Über die Abhängigkeit des Waldes von der Erleuchtung

Von Korbinian Eisenberger

Die Erleuchtung kommt von oben und kann blenden. Rico Schädler blinzelt zwischen den Zweigen. Der 34-Jährige ist einer von den jungen, die herangezogen werden sollen. Ein Forstwirts-Anwärter aus Leer im Ostfriesland, der jetzt im Ebersberger Forst seine Ausbildung macht. Die Sonne hüllt den Nebel des Morgentaus in eine warme Farbe. Unter Schädlers Schuhen ist das Knacken der Äste zu hören, so still ist der Wald. Ein Krachen und Rumpeln. Bäume, die auf den Boden fallen. Der Zauber ist vorüber.

Es ist ein trockener Dezember im Ebersberger Forst und damit gut geeignet für die Arbeit im Holz. Über den Wald verteilt lassen die Förster dieser Tage ältere Bäume fällen, die den jüngeren Licht nehmen. Wie Wasser und Nährstoffe benötigt der Wald auch Sonnenlicht, um wachsen zu können. Wissenschaftler sprechen bei diesem Phänomen von "Phototropismus". Mit einer Harvester-Maschine werden die Stämme in Sekunden entrindet und auf marktübliche Länge gebracht. Der Forstbetrieb verkauft Holz und treibt so den Umbau in einen Mischwald voran. Neu gepflanzt werden nicht mehr Fichten, sondern Ahorn, Buche, Douglasie - und nicht zuletzt der Tannenbaum.

Damit aus den jungen etwas werden kann, müssen die alten irgendwann weichen. So verhält es sich bei Bäumen manchmal wie bei Menschen. Forstbetriebsleiter Heinz Utschig, 61, stapft trotzdem entspannten Schrittes durch den Wald. Schließlich hat sein Anwärter das Forstwirts-Studium gerade erst abgeschlossen. Die nächsten viereinhalb Monate verbringt er in der Forstverwaltung Kirchseeon, erzählt Schädler. Er zückt ein Blatt Papier und hält es vor einen jungen Tannenbaum, der neben ihm wie eine Zimmerpflanze aussieht. Durch das Papier wird besser erkennbar, wann das Bäumchen schneller und langsamer wuchs. Je länger der Stammwuchs bis zu einem nächsten Astquirl, desto mehr Licht und mehr Wachstum im Jahr. Unten hat er deutlich längere Triebe als oben. "Das heißt,hier müssen wir wieder nachlichten." Also fällen.

Im Forst ist jetzt der Harvesterfahrer zugange. Mit der "Holzerntemaschine", wie Förster sie gerne nennen. Ein treffender Begriff, es ist als würde der Mann Schnittblumen von einer Blühweide schneiden. Nur dass er dabei einen Höllenlärm veranstaltet. Die Ernte, das Holz, kommt auf den Markt, und der hat sich im Jahr 2020 positiv für die bayerischen Förster entwickelt. "Die Nachfrage ist gerade massiv", erklärt Forstamtsleiter Utschig, vor allem der Export nach Österreich zu den großen Sägewerken laufe rege. Grund ist der Boom in der Baubranche. Bei allen Wirtschaftsbereichen, die durch den Corona-Lockdown in der Krise sind, haben Baufirmen mehr zu tun als vorher.

Der Harvester hinterlässt unverkennbare Spuren. Wissenschaftler der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft in Freising und der Technischen Universität München etwa untersuchten ein Waldstück bei Augsburg sechs Jahre nach einem kontrollierten Harvester-Einsatz. Ergebnis: Fast jeder zweite Baum entlang der Fahrspur der Erntemaschinen war verletzt und demnach stark für Pilzbefall gefährdet. Vor allem die häufigste deutsche Baumart, die Fichte, ist besonders anfällig für Pilzinfektionen. Ein Mischwald, so die Schlussfolgerung der Wissenschaftler, käme mit den Schäden weitaus besser zurecht.

Anwärter Rico Schädler steht jetzt neben Förster Wolfgang Richter, der hier das Revier leitet. Vor ihnen ein harziger Stumpf, der bis vor wenigen Minuten noch ein lebendiger Baum war. "80 Jahre alt", sagt Richter, erkennbar an den Jahresringen. Und entsprechend in seinem Revier kartiert. Eine 30 Meter hohe Fichte mit einem Holzvolumen von "eineinhalb bis zwei Kubikmeter", sagt Richter. Verkaufswert? "180 Euro".

Auch das ist der Grund, warum Forstbetriebe mit Harvestern arbeiten: Der Holzpreis ist über die Jahrzehnte so stagniert, dass sich die Arbeit im Forst ohne schweres Gerät kaum mehr finanzieren ließe. "In den Fünfziger Jahren war ein Kubikmeter Holz noch 20 Arbeitsstunden wert", erklärt Richter. "Heute sind es eineinhalb Arbeitsstunden." In den vergangenen Jahren habe der Forstbetrieb Wasserburg bisweilen draufgezahlt bei der Produktion von Brenn-, Bau- oder Papierholz. Auch mit Harvester. "Aktuell hat Holz einen Wert, der uns kostendeckend arbeiten lässt."

Indes geht der Umbau im Ebersberger Forst, einem der größten zusammenhängenden Wäldern Südbayerns, voran. Was einst gesunder Mischwald war, soll irgendwann wieder einer sein. 5000 Hektar Fichtenmonokultur - die anfälligste Baumart bei Stürmen, Trockenheit und Borkenkäferbefall - sollen im Ebersberger Forst in Mischwald umgewandelt werden. Ziel sei, "bis zum Jahr 2035 alle Flächen klimastabil umgebaut zu haben", heißt es vom Forstbetrieb Wasserburg. Um dies zu erreichen, müssen Schätzungen des Forstbetriebsleiters nach noch zirka drei Millionen Setzlinge zwischen die Fichtenbestände gepflanzt werden. Zuletzt wurden im Forst 2000 Tannen gepflanzt. Nur 150 bis 200 davon werden zu einem Baum.

Zurück zur Nachwuchstanne, deren Chancen gut stehen an diesem sonnigen Dezembertag. Wie ein Zwerg unter Riesen steht sie zwischen kolossartigen Fichten. Zwei von ihnen liegen nun zusammengesägt auf einem Holzstapel. Etwas mehr Licht dringt nun durch auf die kleinen Gewächse des Waldbodens, die Nachwuchs-Tanne steht nun im Halbschatten. Dadurch steigt ihr Potenzial, ein Christbaum zu werden. Oder besser: "Zu einem Förster-Christbaum."

So erklärt es Forstchef Utschig. Die Nordmanntanne mit dem dichtem Wuchs wird man in einem Naturwald nicht finden. Sie stammt aus der Zucht und wächst auf Freiflächen. Utschig übt sich hier im Verzicht. "Ich nehme immer einen Tannenbaum aus dem Wald", sagt er. In aller Regel eine Weißtanne aus dem Ebersberger Forst, eher spärlich an Geäst und Nadelpracht. Das hat Vorteile, wenn man wie der Forstbetriebsleiter - dem vergangenes Jahr am Tag vor Heilig Abend der Christbaum im Wohnzimmer umfiel - nicht mehr so viele Kugeln zur Verfügung hat.

© SZ vom 23.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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