Landkreis Erding:Ansturm auf Kleinwaffen

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Die Anträge auf eine Lizenz haben sich in den vergangenen drei Monaten im Vergleich zum Vorjahr fast verfünffacht. Polizei und Sicherheitsexperten warnen vor der eigenen Gefährdung durch Waffenbesitz

Von Tahir Chaudhry, Erding

"Das ist eine gefährlich Entwicklung", sagt Anton Altmann, der Leiter der Polizeiinspektion in Erding. Die Zahl der Besitzer von erlaubnisfreien Schusswaffen ist enorm gestiegen, das teilt auch das Landratsamt Erding mit. Im Jahr 2014 waren es lediglich 22 Anträge gewesen und im darauffolgenden Jahr 2015 die doppelte Anzahl. Jetzt ist eine erneute Steigerung zu verzeichnen: Allein vom 1. Januar 2016 bis heute hat sich die Zahl der Anträge mit 257 fast verfünffacht.

Bei den vom Landratsamt erteilten Waffenscheinen handelt es sich größtenteils um den sogenannten kleinen Waffenschein. Er erlaubt den Besitz von Schreckschuss-, Reizstoff- oder Signalwaffen mit PTB-Zeichen, dem Prüfzeichen der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt. Beantragen kann den Waffenschein jeder mit 18 Jahren, mit sauberem Führungszeugnis und einer gesunden geistigen Verfassung. Ob dies der Fall ist, prüft das Landratsamt.

"Bei uns ist seit Monaten alles ausverkauft, weil die Nachfrage einfach zu groß ist", sagt Rainer Holme, Inhaber eines Waffengeschäfts in Erding ist. Zu Beginn des Jahres sei eine regelrechte Panik ausgebrochen. Er und seine Mitarbeiter hätten immer wieder auf Kunden einreden müssen, um sie zu beruhigen. Als Anheizer der Hysterie sieht Holme die Medien, welche die Situation übertrieben dargestellt hätten. "Eine Frau kam sogar weinend zu uns und wollte nicht gehen, bis sie ein Pfefferspray bekommen hatte", erinnert sich Holme. Nach einem sexuellen Übergriff beim Erdinger Herbstfest und den Ereignissen in der Kölner Silvesternacht sei auch der Bestand an Pfeffersprays komplett ausverkauft gewesen.

Jürgen Weigert, Polizeihauptkommissar von Oberbayern Nord, sieht die Sicherheit im Landkreis nicht gefährdet. "Es gibt in der Bevölkerung zwar einerseits immer den Wunsch nach mehr Personal, aber andererseits keine großen Auffälligkeiten bei der Kriminalitätsrate." Auch der Erdinger Polizeichef Altmann zeigt sich über die steigende Tendenz beim Waffenbesitz verwundert und betont, dass der Landkreis zu einem der sicheren Kreise in Bayern zähle. Angesichts der augenscheinlichen Beunruhigung der Einwohner warnt er vor unüberlegten Entscheidungen: "Der Waffenbesitz suggeriert vermeintliche Sicherheit, doch in Realität kann dieser selbst zu einer Gefahr werden." Denn oftmals fehle es an der Fähigkeit die Waffe zu nutzen, sodass sie möglicherweise aus der Hand gerissen zur Gefahr für die eigene Unversehrtheit werden könne. "Eine mitgeführte Alarmsirene kann im Notfall hilfreicher sein, als ein frei erwerbliches Pfefferspray oder Messer."

Eine aufrechte Körperhaltung ist laut Dirk Melchert, dem Betreiber der Taekwondo-Schule in Erding, als Signal an den Täter sehr wichtig. "Der Täter sucht sich sein Opfer aus. Hat man nicht genug geschlafen, gegessen und getrunken, dann ist man ein Opfer." Auch die Einhaltung der Distanz im öffentlichen Raum ist sehr wichtig. Kommt es zum Übergriff, empfehle er Frauen ganz einfache Mittel: anstarren, anschreien, beißen, kratzen, spucken.

Auch Melchert hat beobachtet, dass seit Mitte des vergangenen Jahres die allgemeine Angst um sich greift. Mit beängstigten Anrufern habe er es tagtäglich zu tun, die "dem Denkfehler unterliegen, dass man Selbstverteidigung in wenigen Tagen lernen kann". Anbieter, die aber damit werben, seien nicht seriös. Für Taekwondo brauche es jahrelanges Training, denn es sei eine Lebenseinstellung.

Laut Melchert müsse man auch eine Bedrohungslage miterlebt haben, um im Ernstfall nicht panisch zu reagieren. "Man muss Angstgefühle kennen, kontrollieren und einsetzen lernen". Melchert, der im Ruhrgebiet mit Menschen aus 14 Nationen aufwuchs, empfindet das auch als essenziell, um mit Veränderung in dem uns vertrautem Umfeld umgehen zu können.

Wie sehr Angst und Vorurteile den klaren Kopf benebeln, habe Melchert in seiner Schule im benachbarten Mühldorf erleben müssen. Vor kurzem habe er einen Syrer eingestellt, der olympisches Taekwondo macht, und das auf hohem technischen Niveau. "Er ist Asylbewerber, spricht nicht perfekt Deutsch, aber bemüht sich". Fünf Mühldorfer haben nach seinem Auftritt als Trainer daraufhin den Kurs verlassen.

© SZ vom 20.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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