Eishockey-Goalie Viona Harrer:Im Kasten der Männer

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"Rock it, Baby!": Viona Harrer, Torhüterin der Erding Gladiators, spielt in der höchsten Amateurklasse der Männer - und ist der Publikumsliebling der Mannschaft.

Matthias Vogel

Von einer Bastion zu sprechen, die da gefallen ist, wäre langweilig. Frauen-Eishockey ist keine Besonderheit. Dass Viona Harrer im Tor der Erding Gladiators steht - und das in der vierthöchsten Liga der Männer - ist und bleibt aber bemerkenswert. Dabei ist die 24-Jährige keinesfalls der Hauch Extravaganz, mit dem sich ein Verein zu schmücken sucht. Die Leistung muss passen - und sie passt.

Gut geschützt im Tor der Erding Gladiators: Goalie Viona Harrer. (Foto: Renate Schmidt)

Am vergangenen Wochenende bezwangen die Gladiatoren zunächst den Tabellenzweiten Bayreuth mit 5:3 vor 900 Zuschauern in der Erdinger Eisporthalle. Den Branchenführer Miesbach bezwangen sie auswärts sensationell hoch mit 7:1 und eroberten sich die Tabellenführung in der Bayernliga zurück. Harrer hatte maßgeblichen Anteil daran, Coach Petr Vorisek erklärt warum: "Beide Gegner wissen ja, dass wir eine Frau im Tor haben und haben wirklich aus jeder Lage geschossen, in der Hoffnung, sie lässt mal einen Puck durchrutschen. Sie haben die Rechnung aber ohne Viona gemacht, sie hat richtig stark gehalten."

Auch Vorisek sagt, Harrer sei etwas Besonderes. "Eine Frau in der Männerliga, das ist nicht normal. Vielleicht kann eine von 200 Frauen da mithalten. Sie arbeitet aber auch unheimlich hart an sich." Wohl auch deshalb haben die Fans ihre Nummer 27 fest ins Herz geschlossen. In der vergangenen Saison gab es in der Merchandising-Abteilung der Gladiators einen Viona-Harrer-Fanschal mit der Aufschrift "Rock it Baby!" zu kaufen.

"Wir hatten 50 Stück aufgelegt, die waren nach zwei Heimspielen vergriffen", sagt Gladiators-Sprecher Michael Schneider. Wegen des großen Erfolges wurden heuer weitere 100 Exemplare nachbestellt. "Ich würde sagen, ein Drittel ist schon wieder weg. Sie ist der absolute Publikumsliebling und zwar nicht nur, weil sie ein hübsches Mädel mit einer tollen Ausstrahlung ist", so Schneider.

1990 hat Viona Harrer mit dem Eishockey angefangen. Vater Siegfried Harrer - einst selbst für den SB Rosenheim in der ersten Liga im Tor und heute Torwart-Trainer für Wolfsburg in der DEL - nahm sie einfach mit. Schon bei den Bambinis kristallisierte sich ihr Talent und ihre Vorliebe für den Posten des Goalies heraus. Von 14 bis 16 spielte sie in der Frauen-Bundesliga beim ESC Planegg, danach wechselte sie zu den Tölzer Junglöwen. Seit 2008 dirigiert sie die Erdinger Gladiatoren vor sich auf dem Eis. Ob ihr Vater stolz sei, dass sie heute in der höchsten Amateurklasse der Männer den Kasten hüte? "Ich glaube schon", sagt Harrer und lächelt verlegen.

Um des Vaters Willen spielt sie aber nicht Eishockey. Sondern weil sie sportbegeistert ist und "es wohl der anspruchsvollste Mannschaftssport ist". Generell sei der Unterschied zwischen Männer- und Frauen-Eishockey schon enorm. Aber im Tor mache sich das weniger bemerkbar. Konzentration, Koordination, Reaktionsschnelligkeit und Beweglichkeit sind gefragt. "Es kommt nicht auf die Kraft an", sagt Harrer.

Außerdem gebe dem Torwart ja niemand einen Check, sagt sie - bekanntermaßen hüten im Eishockey die Feldspieler ihren Goalie ja wie ihren eigenen Augapfel. Die Schutzkleidung sei überdies heutzutage sehr gut. "Manchmal tut der Puck schon weh, besonders im Schulterbereich. Dann ist man beeindruckt, aber das legt sich schon wieder", sagt die Untergefreite der Sportfördergruppe der Bundeswehr.

Bei den Männern geht es nicht nur auf dem Eis schneller zu, auch im zwischenmenschlichen Bereich hat Harrer Unterschiede ausgemacht. "Männer können sich mehr pushen und ihr Humor ist derber. Frauen sind bei Kritik empfindlicher und die Stimmung innerhalb der Mannschaft ist vielleicht etwas zickiger." Demnach ist es keine Überraschung, dass sie sich mit ihrem Konkurrenten im Kampf um den Posten zwischen den Pfosten, dem 20-jährigen Manuel Neubauer, blendend versteht.

Vorbild der Bad Tölzerin ist der ehemalige Fußball-Nationaltorhüter Oliver Kahn. "Wegen seines unglaublichen Willens." Wie Kahn hat auch sie anspruchsvolle Ziele. Mit den Gladiators will sie heuer mindestens das Finale der Playoffs erreichen. Und dann möchte sie bei der B-Weltmeisterschaft im kommenden April in Ravensburg mit der Deutschen Nationalmannschaft in die A-Gruppe aufsteigen, um bald gegen die großen Eishockey-Nationen wie Schweden, Russland, Finnland, Kanada oder die USA antreten zu können. Um den Platz im National-Tor muss Harrer mit Jenny Hars kämpfen. Ihre Einschätzung: "Wir befinden uns auf Augenhöhe."

Einem besonderen Erlebnis ist es geschuldet, dass Viona Harrer trotz des Hypes um ihre Person in Erding nicht abhebt. Sie hat diese Begeisterung nämlich schon um das zigfache multipliziert erlebt. Das war bei der A-Weltmeisterschaft 2007 in Winnipeg, nach dem Vorrundenspiel gegen Gastgeber Kanada. "74 Schüsse kamen auf mein Tor, davon habe ich 68 Saves. Ich bin nach dem Spiel, das wir mit 0:8 verloren haben, zur besten Spielerin gewählt worden und 11.000 Zuschauer sind aufgestanden und haben applaudiert. Das hat mich unheimlich berührt."

Wie lange sie überhaupt noch Eishockey und im Speziellen in Erding spielen wird, weiß Harrer nicht. Es mache ihr großen Spaß, aber die weite Anfahrt aus Tölz und das viele Training schlauche sie schon. Die 24-Jährige studiert parallel an der Fernuniversität Hagen Bildungswissenschaften, vielleicht lasse sich daraus etwas machen. Den Trainerschein hat sie schon in der Tasche. "Wenn, dann möchte ich im Nachwuchsbereich tätig werden", sagt sie. Da ließe sich doch ein sympathisches Bild zeichnen: 20 Eishockey-Stöpsel rutschen, mit dem Viona-Harrer-Schal um den Hals, hinter ihrem Idol her. Ihr Schlachtruf steht auch schon fest: "Rock it, Baby!".

© SZ vom 27.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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