Einbürgerung:Gegen die Unsicherheit

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Viele Briten leben schon seit Jahrzehnten im Landkreis. Wegen des drohenden Brexits entscheiden sich immer mehr von ihnen, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen

Von Katharina Kausche, Landkreis

Ein halbes Jahrhundert lebt Enit Weiss bereits in Deutschland, ganz unproblematisch als Britin. Bisher hatte sie keinen Grund gesehen, ihre Staatsangehörigkeit zu ändern. Wie für viele ihrer Landsleute gibt es nun aber doch einen Grund: Den Brexit, wann und wie auch immer er kommen wird. "Ich wollte erst mal abwarten", sagt Enit Weiss. Doch Anfang März war es ihr klar: "Jetzt muss ich den Antrag auf Einbürgerung stellen."

So sehen es auch andere Engländer, Waliser und Schotten im Landkreis. 21 Briten haben von Januar bis April 2019 die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt. Das sind so viele, wie im gesamten vergangenen Jahr. Dabei war bereits in der zweiten Jahreshälfte 2018 die Zahl der Anträge deutlich angestiegen. Eine Einbürgerung ist nicht günstig. 255 Euro fallen als Einbürgerungsgebühr an, 25 Euro für den Einbürgerungstest an der Volkshochschule. Dazu kommen unter Umständen noch die Kosten für einen Sprachkurs. Denn für eine Einbürgerung ist mindestens das Sprachniveau B1 in Deutsch notwendig.

Anfragen für den Einbürgerungstest kommen zuletzt auffallend häufig von Briten, sagt Franziska Bader. Die Leiterin der Deutschsektion der Volkshochschule, an der die Tests im Landkreis angeboten werden, hat Ende März eine Menge Anrufe von verzweifelten Briten erhalten: "Viele haben noch die Hoffnung gehabt, dass der Brexit nicht zustande kommt und zu lange mit ihrer Entscheidung gewartet." Das Problem ist aber, dass die Anmeldungsfrist für den Test am 9. April vorbei war und der nächste Test erst im Juli stattfindet. "Sobald das Austrittsdatum klar ist, werde ich einen extra Termin für den Einbürgerungstest anbieten", sagt Bader.

Enit Weiss ist mit ihrem Antrag Anfang März gerade noch reingerutscht und ihren Einbürgerungstest mühelos abgelegt. "Mit meinen 71 Jahren war ich definitiv die älteste", sagt sie, "aber besser spät als nie." Für die 33 Multiple-Choice Fragen über Deutschland und Bayern hatte sie 60 Minuten Zeit. Keine halbe Stunde nach Beginn war sie mit ihrem Fragebogen fertig. Wie Enit Weiss leben auch Sarah und Graham Scrimshaw seit langem in Erding. Auch sie haben nach ihrem Einbürgerungsantrag im Oktober 2018 die Einbürgerungsprüfung geschrieben. Was die Ergebnisse angeht, müssen sie sich noch ein wenig gedulden. Erst nach einigen Wochen wissen sie, ob sie wirklich bestanden haben.

Mit einem erfolgeichen Test sind sie aber nicht automatisch eingebürgert. Alle drei müssen noch erheblichen Papierkram einreichen: Eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung vorweisen, Sprachzertifikate und den Nachweis, dass sie schon mindestens acht Jahre in Deutschland wohnen - und das sind nur einige der nötigen Dokumente. Wenn alles klappt und die Voraussetzungen vor dem Brexit erfüllt sind, dürfen die drei ihren britischen Pass behalten. Die doppelte Staatsbürgerschaft ist eine Ausnahmeregelung für Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU). Tritt Großbritannien aus, fällt sie erst mal weg.

Für Sarah Scrimshaw wäre das kein Problem, sagt sie. Seit 27 Jahren ist sie mehr in Deutschland als in England. Und wenn sie mal in der Heimat vorbeischaut, vermisst sie die deutsche Pünktlichkeit: "In England kommt immer alles so spät - der Bus zum Beispiel." Die Lebensweise in Deutschland habe abgefärbt, sagt sie: "Mittlerweile bin ich eher bayerisch." Ihrem Mann Graham fiel die Entscheidung schwerer. "Es ist hart, aber es lohnt sich, die deutsche Staatsbürgerschaft zu haben", sagt der 46-Jährige. "Schließlich haben wir ein Kind mit deutschem Pass."

Tim Hancock hat seinen Einbürgerungsantrag schon 2017 gestellt und hat seit 2018 den deutschen Pass. Der sei für ihn aber "nur ein Stück Papier", sagt er: "Ich bin ja immer noch in meinem kleinen Dorf in Nottinghamshire zu Hause und bleibe Engländer. Aber mein Leben, meine Liebe ist hier in Deutschland, in Forstern." Besonders geärgert habe ihn, nichts zum Brexit sagen zu dürfen. Wenn ein Brite länger als 15 Jahre im Ausland lebt, darf er nicht mehr mitwählen. Mit seinen 27 Jahren in Deutschland hat er diese Frist deutlich überschritten. Keine Stimme zum Brexit, keine Stimme in der deutschen Politik - mit dem deutschen Pass kann er nun wenigstens in Deutschland "endlich wählen" und egal wann nun der Brexit komme, seine Zukunft in Deutschland "ist sicher".

Auch Paul Horseman lebt schon lange Jahre in Erding und konnte die Unsicherheit nicht mehr ertragen - ebenso wie sein Arbeitgeber, das Europäische Patentamt. "Wir wissen nicht, ob ich sonst einfach so weiterarbeiten könnte oder ich dann ein Visum bräuchte." Im "schlimmsten Fall" hätte er Deutschland vielleicht sogar verlassen müssen.

Für Enit Weiss, Sarah und Graham Scrimshaw bleibt noch die Unsicherheit - ebenso wie für alle anderen im Ausland lebenden Briten, die nur einen Pass haben.

© SZ vom 03.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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