Nach der tödlichen Messerstecherei:Dorfen im Schockzustand

Lesezeit: 3 min

Das Zimmer 19 im oberen Stock teilten sich das Opfer und der mutmaßliche Täter. In der Nacht zum Sonntag kam es dort zu einem tödlichen Messerangriff. (Foto: Renate Schmidt)

Die tödliche Messerstecherei in einer Flüchtlingsunterkunft erschüttert Dorfen. Es bleibt unbegreiflich, warum der Streit, der bereits geschlichtet war, so eskalieren konnte. Am Mittwoch gedenkt die Stadt dem Opfer

Von Thomas Daller, Dorfen

Dorfen trauert um den jungen Senegalesen, der in der Nacht von Samstag auf Sonntag in der Unterkunft Am Bahndamm nach dem bisherigen Ermittlungsstand der Polizei von einem 38-jährigen Somalier erstochen wurde. Die Mitglieder der Flüchtlingshilfe sind erschüttert, im Dorfener Zentrum für Integration und Familie wurde am Montagmorgen ein Alphabetisierungskurs schon nach 20 Minuten abgebrochen: "Wir sind alle schockiert", sagte die Leiterin des Zentrums, Marianne Ehrler.

Niemand hätte sich vorstellen können, dass es in der Flüchtlingsunterkunft zu dieser Eskalation der Gewalt kommen könne. Das Opfer, der 20-jährige Senegalese, galt als freundlich und umgänglich. Er hatte einen Ein-Euro-Job beim Dorfener Bauhof, wo er zwei Tage in der Woche arbeitete. Der mutmaßliche Täter, der mit dem Opfer zusammen Zimmer Nummer 19 in der Containerunterkunft bewohnte, galt zwar als Einzelgänger, aber er war guter Dinge, weil er endlich einen Job in Aussicht hatte: Am kommenden Freitag, 26. Februar, sollte er deswegen um 8.15 Uhr beim Arbeitsamt erscheinen. Auch das Klima in der Unterkunft, in der neben zwei Familien mit kleinen Kindern nur Männer aus insgesamt sieben Nationen leben, sei nicht gereizt gewesen. "Wir hatten anfangs einen jungen Somalier in der Unterkunft, wegen dem öfter mal die Polizei kommen musste. Aber seit der weg war, gab es kaum Probleme", sagte eine Flüchtlingshelferin, die ungenannt bleiben will. Die Bewohner hätten sich vielmehr gegenseitig geholfen, "einer war für den anderen da".

Bis es in der Nacht zum Sonntag zu der Tragödie kam. Der mutmaßliche Täter war am Samstagnachmittag zusammen mit einem anderen Bewohner bei der Flüchtlingshelferin, um mit ihr über seinen Termin beim Arbeitsamt und über die Busverbindung dorthin zu sprechen. Dabei erwähnte er beiläufig einen Streit mit dem jungen Senegalesen, dem späteren Opfer. Der 20-Jährige habe das Fenster offen stehen lassen, um zu lüften. Dem 38-jährigen Somalier sei es hingegen zu kalt geworden; er wollte, dass das Fenster geschlossen bleibt. Darüber sind sich die beiden wohl in die Haare geraten: "Die Polizei war auch schon da", habe er der Flüchtlingshelferin gesagt.

Diesen Sachverhalt bestätigte ein Sprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern Nord: Eine Streife der Inspektion Dorfen sei wegen eines Streit der beiden am Samstagmorgen in die Unterkunft gerufen worden. Die Beamten hätten den Streit schlichten können, aber auch ein Brotzeitmesser, das der 38-jährige Somalier in der Hand hielt, vorsorglich sichergestellt. Es sei für die Dorfener Beamten nicht abzusehen gewesen, dass der Konflikt danach noch einmal eskalieren würde. Auch, weil mit den beiden Streithähnen vereinbart wurde, am Montag beim Landratsamt anzurufen, damit sie offiziell in verschiedenen Zimmern untergebracht werden. "Es ist ja nicht unsere Sache, in den Belegungsplan einzugreifen", sagte der Polizeisprecher. An Wochenenden ist die Fachstelle Asyl am Landratsamt nicht erreichbar.

Die beiden Männer sind sich danach aus dem Weg gegangen. Wie Flüchtlinge aus der Unterkunft berichteten, soll der junge Senegalese in einem anderen Zimmer, in dem noch ein Bett frei gewesen sei, geschlafen haben. Gegen Mitternacht sei er aber in das Zimmer Nummer 19 zurückgekehrt, weil er etwas holen wollte. Dort kam es dann zu der tödlichen Messerstecherei.

Die Stadt Dorfen und die Dorfener Flüchtlingshilfe wollen am Mittwoch, 24. Februar, 17 Uhr, am Unteren Markt hinter der Marktkirche eine Gedenkveranstaltung für das Opfer abhalten. Adalbert Wirtz, Vorstand der Flüchtlingshilfe, wird Abschiedsworte sprechen, ebenso Bürgermeister Heinz Grundner. Darüber hinaus soll die Trommlergruppe der Schwarzafrikaner die Gedenkveranstaltung musikalisch umrahmen, sagte Wirtz. In einer Pressemitteilung der Flüchtlingshilfe heißt es: "Wir bitten Sie, die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Dorfen, Ihr bisheriges Wohlwollen gegenüber den Flüchtlingen und Asylbewerbern von dieser traurigen Tat nicht beeinträchtigen zu lassen. Im Gegenteil, gerade jetzt benötigen wir Ihre Unterstützung und Ihre freundlichen Worte und hilfreichen Taten."

Der in München lebende Bruder des Senegalesen war bereits am Sonntag in Dorfen und hat mittlerweile veranlasst, dass die Leiche in die Heimat überführt wird. Der mutmaßliche Täter wurde am Montag dem Ermittlungsrichter vorgeführt, der nach Angaben des Polizeipräsidiums Oberbayern Nord Untersuchungshaft wegen Totschlags angeordnet habe.

© SZ vom 23.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: