Coronavirus im Landkreis Erding:Die Heimsuchung

Lesezeit: 2 min

Von den 51 Menschen, die im Landkreis seit Beginn der zweiten Pandemie-Welle am Coronavirus verstorben sind, haben 47 in einem Pflegeheim gelebt - das entspricht einem Anteil von 92,2 Prozent an den Covid-19-Todesfällen

Von Florian Tempel, Erding

Es sind nackte Zahlen, die nichts zu den Schicksalen und den einzelnen Umständen der Todesfälle aussagen. Und doch sprechen sie eine klare Sprache: Von den 51 Menschen, die im Landkreis Erding seit Beginn der zweiten Pandemie-Welle an Covid-19 verstorben sind, haben laut einer Auswertung des Landratsamts Erding 47 in einem Pflege- oder Betreuungsheim gelebt - das sind 92,2 Prozent der seit Herbst 2020 im Landkreis am Coronavirus gestorbenen Menschen. Unter den elf Corona-Todesfällen von März bis Mai 2020 war noch kein einziger Heimbewohner.

Der Landkreis Erding stellt keine Ausnahme dar. Überall in Deutschland hat das Coronavirus vor allem in Pflegeheimen hart zugeschlagen, besonders, seit die zweiten Pandemie-Welle stärker als erwartet übers Land rollte. Es ist längst eine Gewissheit: Die Vorsichtsmaßnahmen, die in allen Pflegeeinrichtungen ergriffen worden waren, die Hygienekonzepte und strengen Besuchsvorschriften, die Glaswände und regelmäßigen Schnelltest haben nicht das gebracht, was man sich von ihnen erhofft hatte.

Was ist da schief gelaufen? Was hätten man anders machen müssen? Wie hätte man die Corona-Ausbrüche in den Heimen verhindern können? "Ich glaube, es war nicht zu verhindern", sagt Björn Michael, der drei Pflegeheime in Hohenpolding, Schröding und Moosen betreibt. "Wir haben unser Konzept immer wieder nach den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts angepasst. Wir haben alles dafür getan, uns solange es ging, gegen das Virus zu wehren. Ich glaube, am Ende des Tages gibt es keinen Schuldigen."

Andere sehen die Sache nicht so fatalistisch und weisen auf Versäumnisse hin. Eine mit der Leitung eines Heims betraute Person, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, sieht das Gesundheitsamt in der Mitverantwortung. Das Gesundheitsamt sei, als man einen ersten Covid-19-Fall in der Einrichtung identifiziert hatte, mit einer Reihentestungen aller Bewohner und Mitarbeiter zu zögerlich gewesen. Das Gesundheitsamt habe zunächst darauf vertraut, dass eine Isolierung des infizierten Bewohners und Schnelltests der Mitarbeiter ausreichende Maßnahmen wären. Bis die PCR-Tests bei allen Bewohnern und Mitarbeitern dann doch endlich vorgenommen worden sein, sei es zu zahlreichen Ansteckungen gekommen. Man hat daraus gelernt, immerhin. Reihentestungen wurden seitdem bei einem Corona-Ausbruch nicht mehr diskutiert, sondern umgehend vorgenommen.

In der ersten Pandemie-Welle waren die Heime im Landkreis weitgehend verschont geblieben. Die bitteren Erfahrungen, die schon im ersten Halbjahr 2020 andernorts gemacht wurden, fehlten hier. Noch im Oktober berichtete die SZ Erding darüber, dass Besucher von Heimbewohnern sich an den "zu schroff formulierten" Vorschriften störten. Georg Edenhofer, der Heimleiter des im Dezember schwer getroffenen Heiliggeist Stifts Erding, sagte damals: "Es nutzt nichts, drumherum zu reden, da gibt es nichts zu beschönigen. Wenn das Virus einmal im Haus ist, dann wird es verdammt hart." Anfang Dezember, als die zweite Welle immer mehr Heime im Landkreis mit voller Wucht erwischte, gestand Landrat Martin Bayerstorfer (CSU) ein: "Wir haben uns lange Zeit zu stark auf die Schulen konzentriert und hatten die Pflegeheime nicht ausreichend im Blick."

In den 19 Pflege- und Betreuungseinrichtungen im Landkreis leben laut Auskunft des Landratsamtes 1566 Frauen und Männer. Seit Beginn der Pandemie haben sich - Stand vergangener Freitag - 356 Heimbewohner mit dem Coronavirus infiziert, das ist mehr als jeder Fünfte. Der Anteil von Heimbewohnern an allen bis dato bestätigten Covid-19-Fällen beträgt 7,5 Prozent. Das ist überproportional viel im Vergleich mit der Gesamtbevölkerung. Der Anteil der Todesfälle ist aber nicht nur überproportional, er ist extrem.

Die allgemeine Anzahl der Covid-19-Todesfälle war im Landkreis Erding längere Zeit auffällig geringer als in den Nachbarlandkreisen. Mittlerweile stimmt auch das nicht mehr. Die Corona-Sterblichkeit pro 100 000 Einwohner ist zwar im Landkreis Erding noch signifikant niedriger als in den Landkreisen Ebersberg, Landshut und Mühldorf. In den Landkreisen Freising und München ist der Wert jedoch fast exakt gleich.

© SZ vom 20.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: