"Botschafterin Bayerns":Spicken und Lehrer knuddeln erlaubt

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Malena Günther aus Freising ist seit einigen Monaten in Brasilien und erlebt die Schule dort als sehr locker

Von Malena Günther, Freising

Im Juli ist die damals 15-jährige Malena Günther als Austauschschülerin der Organisation Youth For Understanding (YFU) und "Botschafterin Bayerns" nach Brasilien gegangen. Für die Freisinger SZ schildert sie ihre Erlebnisse in loser Folge:

Ich bin die Nummer 42 von 41 Schülern im "Primeiro ano", also dem ersten Jahr der dreijährigen Oberstufe. Das kommt daher, weil ich auf einer katholischen Privatschule bin, als Gastschülerin keine Matrikula habe und mir so eine Nummer aussuchen konnte. Ansonsten wurde ich gleich vom ersten Tag an beim Volleyballspielen im Pausenhof integriert und bin schon ein ganz normales Klassenmitglied, das nur noch manchmal Erklärungsbedarf hat.

Nach drei Monaten habe ich mich daran gewöhnt, dass die Schulstunden 50 Minuten dauern, die Pausensirene kein Feueralarm ist und dass es lockerer zugeht. Strammes Aufstehen am Anfang wird durch Lehrerknuddeln oder ein einfaches "bom dia" ersetzt. Manche erscheinen erst zur zweiten oder dritten Stunde, um auszuschlafen. Außerdem unterhalten sich die Lehrer mit uns über Rentenwünsche, Bürgermeisterwahl oder Fitnessstudios. Besonders ungewohnt für mich war, dass nicht nur die Jugendlichen meistens unbehelligt Snapchat-Fotos machen können, sondern selbst mein Geografielehrer Bilder von seinem Labrador herumzeigt.

Besonders schön fand ich es, als meine Chemielehrerin auf einer Exkursion extra mit mir losgegangen ist, um Postkarten zu kaufen und der ganze Bus gewartet hat. Unterricht ohne Scherzchen ist für mich beinahe unvorstellbar geworden. Aber natürlich gibt es auch Noten, die man durch Arbeiten, Prüfungen und Trimestralprüfungen erhält oder durch Projekte. Man erhält immer zwischen null und zehn Punkte, mit denen am Ende des Jahres ein Durchschnitt errechnet wird. Die genannten Tests unterscheiden sich dadurch, dass in Arbeiten Pärchenarbeit und Heft erlaubt sind, bei Prüfungen dagegen dürfen wir nur in manchen Fächern ein Din-A4-Blatt zum "Spicken" benutzen. Fast alle Tests sind Multiple-Choice-Tests, weswegen ich glücklicherweise nur in Aufsätzen oder in Soziologie in der fremden Sprache formulieren muss. Andererseits bekommt man nur Punkte, wenn man den richtigen Buchstaben angekreuzt hat, was ärgerlich ist, wenn man haarscharf daneben liegt.

Trotz all der Entspanntheit schlagen die Lehrer oft einen ernsteren Ton an und pochen darauf, wie wichtig es ist, sich anzustrengen und die gebotenen Chancen zu nutzen. Denn die monatlichen 285 bis 572 Euro an den Privatschulen kann sich wahrlich nicht jeder leisten und die öffentlichen Schulen leiden unter Lehrermangel und infrastrukturellen Problemen. Hinzu kommt, dass Privatschulen besser bezahlen und spezielle Vorbereitungskurse für ENEM und das Vestibular anbieten, die im letzten Jahr geschrieben werden. Sehr gute Ergebnisse im landesweiten ENEM-Test bescheren wiederum begehrte Plätze in den kostenlosen staatlichen Universitäten, ebenso ein hervorragendes Abschneiden im Vestibular, also dem Universitätszulassungstest. Ein Großteil der staatlichen Studiengänge wird daher von denen belegt, die sich auch eine Privatuniversität leisten könnten, weil sie eben die besseren Voraussetzungen haben.

Die neue Regierung möchte nun die Ausgaben für Bildung für die nächsten 20 Jahre einfrieren und eine Schulreform durchsetzen, weswegen es hier in Porto Alegre auch zur Besetzung der staatlichen Universität, Demonstrationen und Streiks der öffentlich Beschäftigen gekommen ist. Für einige meiner Vereinskollegen wird es keine Weihnachtsferien geben - sie werden durcharbeiten, um durch Streiks im kommenden Jahr keinen Schulstoff zu verlieren.

© SZ vom 23.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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